Der Tod des Landeshauptmanns
wenigstens ein bisschen was von der Story zu verraten. Aber er war richtig stur geblieben. So sind sie halt, hatte sie sich gesagt, die Leute, die für das Heeresnachrichtenamt arbeiten. Immer ein wenig verschlossen, die Geheimniskrämerei reichte bis ins Privatleben.
„Frau Köpperl, fällt Ihnen irgendetwas ein, das Ihnen seltsam vorgekommen ist? Etwas, das Ihnen jetzt, angesichts des Todes, in einem anderen Licht erscheint?“ Jasmin blickte den Revierinspektor an. Seine freundlichen grünen Augen strahlten Wärme aus, sie hatte das Gefühl, sich diesem Mann anvertrauen zu können. „Ich verstehe nicht, wie so etwas passieren kann. Gestern wollte er nicht, dass ich vorbeikomme. Er habe eine wichtige Arbeit, sagte er mir am Telefon, aber ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas anderes dahintersteckte.“ Bugelnik richtete sich im Sessel auf, sein Aufmerksamkeitsgrad erhöhte sich. „Würden Sie mit mir zu seinem Haus fahren? Ich weiß, dass es für Sie nicht leicht sein wird. Aber Zeit ist ein ganz wichtiger Faktor, wenn Ihnen irgendetwas seltsam erscheint.“ Jasmin war sich nicht sicher. Was sollte sie in Stefans Wohnung finden, das der Polizei helfen könnte? Andererseits, ihre journalistische Neugier und auch ihr persönliches Interesse, den Tod Stefans aufzuklären, waren stärker. „Ich komme mit Ihnen. Geben Sie mir nur ein paar Minuten, ich muss noch ein paar Kleinigkeiten erledigen.“
Stefans Haus war nur zehn Minuten von der Redaktion entfernt. Er hatte es vor fünf Jahren gekauft, ein schmuckes Vorstadt-Häuschen, gar nicht weit vom Wörthersee entfernt. Keine schlechte Adresse für einen Beamten, hatte sich Jasmin gedacht, als Stefan sie das erste Mal zu sich mitgenommen hatte. Bugelnik lenkte das Dienstfahrzeug in die Einfahrt. Noch bevor sein Wagen ganz zum Stillstand kam, machte ihn etwas stutzig. Sie stiegen aus, schritten die sechs Stufen zur Eingangstür hinauf und dann sahen sie es: Zwischen Tür und Türstock waren mehrere grellgelbe Aufkleber angebracht: „Betreten strengstens verboten – HNA – Zuwiderhandelnde werden gerichtlich verfolgt.“
S TEFAN S TRAGGER WAR EIN außergewöhnlich talentierter Mann. Schon in der Schule war den Lehrern aufgefallen, wie vielfältig interessiert der Bub war: Nicht nur, dass er politisch stets auf dem Laufenden war wie wenige in seiner Altersklasse, er hatte auch eine außergewöhnliche Gabe, sowohl Erlebtes als auch Erfundenes in faszinierend lesenswerte Aufsätze zu gießen. Immer wenn seine Mutter zum Elternsprechtag erschien, lobte ihn der Deutsch-Professor über alle Maßen. „Sie müssen ihn überzeugen, dass er seine Talente nützt, aus ihm wird sicher noch ein großer Schriftsteller.“ Zuhause, in einem kleinen Ort in Südkärnten, zog er sich nach der Schule meist in sein Zimmer zurück. Wenn andere Buben ihn zum Fußball oder im Winter zum Eislaufen auf dem nahegelegenen, zugefrorenen See abholen wollten, sagte er meistens Nein. Nur selten ließ er sich überreden, aber wenn er doch mitkam, dann schoss er die wichtigsten Tore oder flitzte mit seinen Eislaufschuhen eleganter als jeder andere über den See.
Zu seinen wirklichen Leidenschaften zählte das Theater. Immer wieder gelang es ihm, bei Proben im Stadttheater dabei zu sein; der damalige Intendant, Herbert Wochinz, war auf den jungen Burschen aufmerksam geworden, als er sich einmal in den Saal hineingeschlichen und sich nur zwei Sitze neben ihm niedergelassen hatte. „Sauschlachten“ von Peter Turrini wurde damals gerade geprobt, Stefan verfolgte das Stück, oder besser das, was gerade zu einem Stück wurde, mit weit aufgerissenen Augen. Wochinz sprach ihn an und war schnell fasziniert von Stefans Wissen und Theaterleidenschaft. Danach erlaubte ihm der Intendant quasi mit einer Generalvollmacht, immer wieder bei den Proben dabei zu sein.
Nach der Matura in Klagenfurt, die er mit Auszeichnung bestand, inskribierte er in Graz Jus. Er kam nur selten nach Hause, zu den wenigen Freunden aus seiner Schulzeit hatte er kaum noch Kontakt. Graz war so etwas wie eine Großstadt für den jungen Mann aus dem kleinen Dorf, und Stefan brauchte einige Zeit, um sich zurechtzufinden. Nicht so sehr geografisch, das war nicht schwierig gewesen, sondern sozial – die anderen Studenten gingen fast jeden Abend in eine Kneipe oder in ein Szenelokal, nur Stefan war auch dazu schwer zu überreden. Nach und nach wurde er lockerer, das verdankte er auch seiner ersten Freundin, Karina, einer
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