Nur ein Katzensprung
1
Cape Times - 11.05.1986
Karriere beendet? – Wunderkind stürzt von der Bühne
Kapstadt (rt) – Sie waren in die Endler Hall der Universität Stellenbosch gekommen, um Beethovens Romanzen zu hören und um den sechsjährigen deutschen Wunderknaben Morton Malloy mit seiner Geige zu erleben. Stattdessen wurden sie Zeugen einer Tragödie. Nach dem ersten Stück verbeugte sich der Junge vor seinen Zuschauern, drehte sich zu seinem Partner William Austernod am Klavier um und trat einen Schritt zurück. Als er sich wieder dem Publikum zuwandte, um sich noch einmal zu verbeugen, stolperte er über einen Bodenscheinwerfer und stürzte von der Bühne. Das laute Bersten, das zu hören war, stammte allerdings von der Geige, einer kostbaren Sonderanfertigung in einer Spezialgröße, die unter dem Aufprall von Mortons Körper zerbrach. Eine in der Halle anwesende Ärztin versorgte den Bewusstlosen sofort. Trotzdem musste er mit einer schweren Kopfverletzung und einem offensichtlich gebrochenen Arm ins City Park Hospital gebracht werden.
Eine Zuhörerin, die in der ersten Reihe gesessen hatte, behauptete: „Er hat mich angesehen, gelächelt und ist mit voller Absicht über die Kante getreten.“ Mortons Mutter und Managerin, Barbara Malloy, verbittet sich derartige Behauptungen. „Mein Sohn ist so glücklich. Er freut sich sehr auf die bevorstehende Konzertreise, die ihn auf vier Kontinente und in zwanzig der bedeutendsten Konzertsäle der Welt führen wird“, sagte sie und ergänzte mit Tränen in den Augen: „Er war vor dem Auftritt aufgeregt, weil er so viele begeisterte Musikliebhaber treffen wird.“
Im Anschluss an unser Gespräch ließ sie verlauten, dass sie ihrerseits prüfen lassen wird, ob sie gegen die Universität Regressansprüche geltend machen kann, falls die Tournee aufgrund von Mortons Verletzungen tatsächlich verschoben werden muss. Außerdem habe sie einen Spezialisten mit der Begutachtung des Instrumentes beauftragt. Sie hoffe sehr, dass es noch zu reparieren sei. Die Geige sei zwar gut versichert, aber Morton liebte sie und glaubte, dass sie ihm Glück brächte.
Dieser Zeitung liegen noch keine Informationen zur Schwere der Verletzungen des Jungen vor. Allerdings muss wohl davon ausgegangen werden, dass die nächsten beiden Konzerte, die in Cincinnati und Brüssel stattfinden sollten, abgesagt werden müssen.
Bedeutet dies das Ende der Karriere von Morton Malloy?
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Holzminden
Sonntag, 30. Oktober 2011
gegen 18.00 Uhr
2
„Gib mir five!“ Kommissar Kofi Kayi beugte sich zu dem rothaarigen Jungen hinunter. Verschwörerisch sagte er: „Ich habe früher auch Judo gemacht.“ Er betrachtete ihn aufmerksam. Kinder in Jonas‘ Alter fürchteten sich manchmal vor seiner dunklen Hautfarbe. Doch Jonas schien das nichts auszumachen.
„Ehrlich? Welchen Gurt hattest du?“
„Den grünen.“ Er hockte sich so hin, dass er ungefähr so groß war wie der kleine Junge, der stolz wie Oskar vor ihm stand. Er trug einen riesig wirkenden Judoanzug, der von einem nagelneuen, noch recht steifen gelben Gürtel zusammengehalten wurde. „Ihr wart heute zur Judo-Safari in Hannover?“
Der kleine Jonas nickte. „Ich besitze zwar nur den gelben Gürtel, aber in unserer Mannschaft haben fast alle den roten Fuchs geschafft.“ Stolz hielt er Kofi ein gesticktes Abzeichen und eine Urkunde hin. „Hast du auch so eins?“
Kofi stimmte zu. „Yep, und die Schlange und den Bären habe ich auch bekommen, aber da war ich schon älter als du.“
Jonas sah ihn mit großen Augen an. „Cool!“
Aus den Augenwinkeln sah Kofi, dass Jonas‘ Eltern unruhig hin und her gingen. Frau Schwarze rang die Hände. Ihr Mann versuchte, sie aufzuhalten, legte ihr beruhigend den Arm um die Schulter.
Sie befanden sich im Wohnzimmer der Familie, das von einem übergroßen Plasmafernseher und zahlreichen Lautsprechern dominiert wurde. In einer Ecke standen bunte Kisten mit Spielzeugen. Kofi erkannte Playmobil und eine Menge Kuscheltiere. Er fragte: „Du hast einen Freund, der Kelvin heißt?“
„Wir gehen in die gleiche Klasse und machen zusammen Judo!“
Frau Schwarze mischte sich ein. „Kelvin hat rund zwei Monate später mit dem Training angefangen, doch er ist bereits zur orangen Gürtelprüfung angemeldet.“
„Das interessiert doch nicht“, sagte Herr Schwarze, der einen dunklen Anzug mit Krawatte trug.
„Im Moment wissen wir noch nicht, was
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