Der Tod im Eis
war ausgesprochen gering .
Ein Stück entfernt von ihrer »Absturzstelle« entdeckte Lilith die Spur des Wolfes. Sie folgte ihr, langsam, um ihre wiedererwachenden Kräfte zu schonen, und sie lief dabei etwa einen Meter neben der Fährte her.
In der nächsten Minute mußte sie feststellen, daß sie besser in Landrus Spur getreten wäre.
Als der Schnee unter ihrem rechten Fuß aufwirbelte, einhergehend mit einem metallischen Klacken. Und als sich im selben Sekundenbruchteil stählerne Kiefer um ihren Knöchel schlossen.
Messerscharfe Zähne gruben sich in ihr Fleisch.
Der Schmerz war nicht schlimm genug, um daran zu sterben.
Aber er reichte, um Liliths Bewußtsein auszulöschen.
*
Der Wolf war in einen kräftesparenden Trab verfallen, so daß er das Tempo über die gesamte Strecke hatte beibehalten können. Die Art des Laufens hatte er sich einst von den Ureinwohner dieses Kontinents abgeschaut, denen es auf diese Weise gelang, stundenlang zu laufen, ohne eine Rast einlegen zu müssen. Gepaart mit Landrus widernatürlichen Kraft war diese Methode geradezu perfekt.
Irgendwann hatte sich zu der Fährte, der er seit Stunden und die ganze Nacht hindurch gefolgt war, eine zweite hinzugesellt. Eine menschliche. Nun fiel es seinem wölfischen Geruchssinn um ein Vielfaches leichter, ihr nachzuspüren. Und es dauerte nicht lange, bis er am Ziel anlangte.
Das Dorf, eher eine kleine Stadt, lag in einer Senke, deren Hänge sanft anstiegen und an ihrem Kämmen schließlich in den Wald übergingen, in dessen Schutz Landru sich hielt. Das Dämmerlicht des beginnenden Tages mochte ihn vor menschlichen Blicken verbergen, aber er wußte nicht, wie es um die Sichtweise der neuen Rasse bestellt war.
Zwei Straßen durchzogen den Ort da unten; in der Mitte der Ansammlung von Häusern kreuzten sie sich. Die Gebäude selbst boten einen kuriosen Anblick, denn sie waren von unterschiedlichster Bauart.
Es gab einige, die jenen ähnelten, wie man sie auch »drunten im Süden« in den Kleinstädten und Vororten fand. Andere waren bloße Hütten, errichtet aus rohen Stämmen und Grassoden, und sie sahen aus wie übriggeblieben aus einer Zeit, die selbst hier längst vergangen sein mußte. Sie standen vor allem zum Ortsrand hin, ein paar von ihnen schon auf den Hängen, während das Städtchen in der Mitte von durchaus »südlichem« Charakter war mit seinen buntge-strichenen Holz- und Steinbauten, unter denen sich auch ein paar Geschäfte und ein Restaurant befanden.
Landru brachte Minuten damit zu, den Ort zu beobachten. Ein einziges Auto fuhr während dieser Zeit eine der beiden Straßen entlang. Der eine intakte Scheinwerfer des Fahrzeugs wanderte wie der Finger eines Gespenstes durch das Zwielicht.
Ansonsten rührte sich nichts.
Zumindest nicht in der Ortsmitte.
Aber an dem Hang, der links von ihm lag, machte Landru schließlich eine Bewegung aus. Und dann mehrere.
Männer liefen dort. Der ungelenken Art ihrer Bewegungen nach zu schließen waren sie nicht die Jüngsten, und sie kamen allesamt aus einer Richtung: aus einer der Hütten, wie der Wolf schließlich feststellte. Und sie strebten anderen Hütten zu.
Landru beobachtete sie weiter. Ihm fiel auf, daß jeder der Männer etwas trug. Etwas offensichtlich Schweres oder zumindest Unhandliches.
Der Wolf knurrte, gereizt und unruhig, als er erkannte, was die Männer da mit sich schleppten.
Eier. Eiförmige Kokons, wie er einen in der Station gefunden hatte.
Die Männer schafften die Brut des Retorten-Vampirs fort!
Demzufolge befand sich der Vampir selbst in jener Kate, aus der die Männer gekommen waren.
Landru überlegte. Zwei Möglichkeiten boten sich ihm. Die eine war, die »Höhle des Löwen« zu stürmen, um das Übel gleich an der Wurzel zu packen. Die andere war, sich erst der Brut anzunehmen.
Er wußte nicht, wie lange es dauerte, bis die Kokons platzten, um den vampirischen Nachwuchs in sein unseliges Leben zu entlassen. Aber es schien ihm die bessere Lösung, hier zuerst zuzuschlagen. Er würde wohl einen Großteil der Eier vernichten können, ehe die Vampire »schlüpfen« konnten.
Der Wolf sah sich kurz um, wartete, bis auch der letzte der Män- ner mit seiner Last in einer der Behausungen verschwunden war. Dann lief er los, in die Richtung der nächstgelegenen Hütte.
*
Lilith glaubte in Wärme zu schweben wie auf Wolken. Die Luft um sie herum war regelrecht angefüllt mit würzigen Naturdüften. Sie fühlte sich so wohl wie seit Wochen nicht mehr, und
Weitere Kostenlose Bücher