Der Tod im Eis
Fledermaus.
Lilith Eden hatte ihr Blut gewiß schon tausendmal verflucht, weil es zur Hälfte das eines Vampirs war. Doch jetzt, hoch über der tiefverschneiten Tundra Nordalaskas, wünschte sie sich, zur Gänze Vampir zu sein.
Dann hätte auch sie sich in ein Tier verwandeln können wie jenes, dessen Spur sie in sicherer Entfernung folgte - in einen Wolf. Wie Landru.
So aber war ihr nur die Transformation zur Fledermaus möglich. Und als solche bedeutete der scheinbar endlose Weg einen Kraftakt, der kaum zu bewältigen war.
Jeder einzelne Flügelschlag fraß spürbar an ihren Kräften, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis Lilith jene geheimen Reserven antasten mußte, über die wohl jedes Wesen verfügte und die nur dann nutzbar wurden, wenn scheinbar nichts mehr ging.
Jetzt beglückwünschte sie sich dazu, den Retorten-Vampir vor der Station ausgesogen zu haben bis zum letzten Tropfen, obwohl sie schon von der Hälfte seines schwarzen Blutes satt gewesen war. Es hatte fürchterlich geschmeckt, künstlich eben, aber sie hatte sich selbst daran erinnert, daß es womöglich lange dauern konnte, bis sie ein neues vampirisches Opfer fand. Eine »Quelle«, aus der sie jenes Elixier trinken konnte, das sie in dem Maße kräftigte, wie es früher menschliches Blut getan hatte. Und das sie so nötig brauchte, wie ein Mensch Nahrung zu sich nehmen mußte. Also hatte sie den Homunkulus förmlich leergesoffen, obwohl ihr beinahe schlecht davon geworden war.
Aber Lilith hatte neben allem Ekel festgestellt, daß dieses »Blut aus der Retorte«, so wenig wohlschmeckend es auch gewesen sein mochte, sie mehr gestärkt hatte als echtes Vampirblut. Als wäre es ein Konzentrat all dessen, was an Nahrhaftem im schwarzen Blut der Alten Rasse steckte. Wäre dem nicht so gewesen, hätten ihre Kräfte wohl längst schon nachgelassen.
Jeder Flügelschlag schmerzte, und es lag nicht allein an der schwindenden Kraft. Lilith war keineswegs derart gefeit gegen Kälte wie die Angehörigen ihres Stiefvolkes. Ihr Blut war warm, ihr Körper nicht tot, und so machte ihr die schneidende Kälte arg zu schaffen. Wie mit eisigen Zähnen biß sie sich in ihrer Haut fest, um an Wärme herauszusaugen, was sie nur irgend fand.
Lilith versuchte sich abzulenken. Denn jeder Gedanke, den sie an diese Qualen verschwendete, forcierte die Pein nur noch. Und so ließ sie ihrer Erinnerung das Kommando über ihr Denken, dachte daran zurück, was diesem Höllenflug über Alaska vorausgegangen war .
Begonnen hatte es damit, daß Lilith sich darauf besonnen hatte, weswegen sie überhaupt in die Vereinigten Staaten von Amerika gereist war. Von Sydney aus war sie der Spur des Genvampirs gefolgt, den die dortige Sippe gezüchtet und schließlich nach New York verbracht hatte.
Dort aber hatten sich im Laufe der folgenden Wochen die Ereignisse schier überschlagen, und darüber hatte Lilith nicht nur die Spur des künstlichen Vampirs verloren, sondern ihn beinahe sogar vergessen. Zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, ihrer neuen Bestimmung gerecht zu werden, die da hieß: Tod den Vampiren!
Eine geheimnisvolle Seuche raffte die Alte Rasse dahin, ließ nur die Oberhäupter der Sippen übrig. Sie zu vernichten, war Liliths Aufgabe, die ihr von Gott selbst aufgebürdet worden war. Auf diese Weise sollte sie büßen, was sie in ihrem »vorherigen« Leben an Schuld auf sich geladen hatte: Auf der Suche nach ihrer Berufung hatte sie Leid und Tod über Menschen gebracht - auch über die, die ihr nahegestanden hatten.
Daß sie ihre wahre Schuld damit nicht wirklich abtrug, wußte Lilith längst. Denn auch wenn sie tausend Vampire tötete; Freunde, wie Beth MacKinsay und Duncan Luther sie ihr gewesen waren, brachte auch dieser Akt nicht ins Leben zurück.
Und vielleicht war dieses Wissen auch die eigentliche Strafe, die ihr auferlegt worden war, nachdem sie den ursprünglichen Zweck ihrer Existenz erfüllt gehabt hatte:
Im Garten Eden, in den sie durch einen inzwischen eingestürzten Zeitkorridor gelangt war, hatte sie die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich Adams erstes Weib, ebenfalls Lilith mit Namen, mit Gott versöhnen konnte. Denn die Ur-Lilith hatte sich damals, am Anfang der Zeit, dem Bösen zugewandt und das Geschlecht der Vampire begründet. Dafür war sie von Gott mit Zustand gestraft worden, der ihren Körper schlafend, ihren Geist jedoch wach hielt, so daß sie von ihrem Grab aus die Geschicke der Welt sehen mußte, ohne selbst daran
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