Der Tod im Eis
teilhaben zu können. Mit Liliths Hilfe, die sie selbst aus ihrer Stasis heraus nur für diesen Zweck geschaffen hatte, war es ihr gelungen, vor den Allmächtigen zu treten und Vergebung zu erflehen.
Sie war ihr gewährt worden. Die Ur-Lilith war in der Manifestation Gottes aufgegangen - - und Lilith selbst, das Kind zweier Welten, war in ihre eigene Gegenwart zurückgekehrt. In eine Gegenwart allerdings, die sich verändert hatte und es noch immer tat. Denn indem er der Ur-Lilith vergab, kam der Zorn Gottes über ihre Kinder, und Lilith sollte zur Henkerin der Verbliebenen werden. Aus diesem Grunde nährte sie sich nicht länger von Menschenblut, sondern vom schwarzen Blut der Vampire. Das sollte ihre Motivation sein, nicht nachzulassen bei ihrer Jagd ...
Es war eine Aufgabe, an der sie schon jetzt, da sie noch am Anfang stand, fast zu zerbrechen drohte. Und es lag nicht allein daran, daß sie kaum zu bewältigen schien, denn es mochte noch tausend und mehr Oberhäupter auf der Welt geben, die die Seuche überstanden; womöglich wurden gar ganze Sippen ausgespart in dem kollektiven Sterben. Aber das war nicht der einzige Grund, aus dem Lilith zu verzweifeln drohte, wenn sie allzu lange über ihr Schicksal nachsann; es war vielleicht nicht einmal der wahre Grund.
Viel schwerer wog die Einsamkeit, zu der sie sich verdammt fühlte.
Wie sie es früher schon gewesen war. Denn in ihrem Gefolge hatte sie stets den Tod bei sich, und er wurde früher oder später jedem zum Verhängnis, der Lilith länger auf ihrem Weg begleitete.
Daran hatte sich nichts geändert .
Doch die menschliche Hälfte in ihr sehnte sich nach Gesellschaft, mehr noch nach Wärme und Geborgenheit, die sie nur bei einem anderen Menschen gefunden hätte. Aber sie hätte diesen Gefährten zwangsläufig verloren, wie sie schon früher jeden verloren hatte. Und der Schmerz darüber würde schlimmer sein als die Qual des Alleinseins .
Vor einigen Tagen war Lilith der Retorten-Vampir also wieder in den Sinn gekommen. Vielleicht sogar, weil es keine Hinweise auf seinen Verbleib gegeben hatte. Denn Lilith hatte Fernsehnachrichten und Zeitungsmeldungen aufmerksam verfolgt, weil sie daraus ihre Informationen bezog über Orte, an denen sterbende Vampire dem Blutrausch verfallen waren. Zwar war in den Berichten nie die Rede von Vampiren, immer wurde das Offensichtliche kaschiert, doch Li-lith verstand zwischen den Zeilen zu lesen, zwischen den Worten zu hören und zwischen den Bildern zu sehen.
Auf diese Weise war sie in etliche Städte gereist, um die Letzten der Alten Rasse zu tilgen. Schon weil ihr Durst nach schwarzem Blut sie trieb. Und schließlich hatte sie beschlossen, sich auch um den Genvampir zu kümmern. Denn was nutzte es, wenn sie eine Gefahr eindämmte, während anderswo eine neue heranwuchs und womöglich übermächtig wurde?
Sie hatte nach einer Quelle gesucht, die ihr Hinweise auf das Auftauchen des Retorten-Vampirs geben konnte, und sie hatte sie in Washington gefunden.
In der Zentrale des FBI mündete eine unüberschaubare Zahl von Informationskanälen. Es war Lilith nicht schwergefallen, einen Special Agent dazu zu »überreden«, ihr Einblick in die Berichte zu verschaffen. So war sie letztlich auf jene Videoübertragung gestoßen, in der ein Wissenschaftler in einer Forschungsstation in Alaska scheinbar von Unsichtbaren angegriffen wurde und im Moment, ehe die Übertragung abbrach, noch vor Vampiren warnte.
Der junge Agent hatte Lilith den Gefallen getan und herausgefunden, was in dieser Sache unternommen werden sollte. Und was er entdeckt hatte, war für Lilith wie eine Bombe gewesen.
Das FBI schickte einen Agenten namens Hector Landers nach Alaska!
Lilith kannte jenen Namen. Viel zu gut.
Landru, der mächtigste der Alten Rasse und nebenbei noch ihr Todfeind, benutzte ihn, wenn er inkognito agierte.
Über den Ereignissen der vergangenen Wochen hatte sie den ehemaligen Kelchhüter fast vergessen oder wenigstens tief in ihrem Unterbewußtsein vergraben. Jetzt hatte er sich gewissermaßen mit ei-nem Paukenschlag in Erinnerung gebracht.
Und wenig später war Lilith ihm persönlich begegnet!
Daß er sie im FBI-Hauptquartier in Washington nicht gesehen hatte, war nur einem Zufall zu verdanken. Denn gespürt hatte sie seine Gegenwart nicht, so wie sie überhaupt nicht mehr imstande war, die Nähe von Vampiren zu »wittern«. Wohl aber hatte er sie gespürt. Das hatte Lilith nicht übersehen, als sie ihn um die Ecke, hinter der sie
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