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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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1913

    Ich bog um die Ecke der Kaiserallee, böiger Wind und eiskalter Regen schlug an meine nackten Beine, und ich dachte voll Angst daran, daß Sonnabend war. Die letzten Meter legte ich im Laufschritt zurück, verschwand im Hausflur, raste die fünf Treppen hinauf und klopfte zweimal leicht. Mit Erleichterung erkannte ich den schleppenden Schritt der dicken Maria. Die Tür ging auf, Maria strich ihre graue Locke nach oben, ihre guten blauen Augen sahen mich an, sie beugte sich zu mir nieder und sagte leise und verstohlen: "Du kommst aber spät."
    Und mir war es, als stände Vater vor mir, schwarz und mager, und sagte in seiner abgerissenen Redeweise: "Pünktlichkeit ist eine deutsche Tugend, mein Herr!"
    Ich flüsterte: "Wo ist er?"
    Maria schloß behutsam die Vorsaaltür . "In seinem Arbeitszimmer. Er macht die Geschäftsabrechnung."
    Sie setzte hinzu: "Ich habe dir deine Hausschuhe mitgebracht. Da brauchst du nicht erst in dein Zimmer zu gehen."
    Ich mußte an Vaters Arbeitszimmer vorbei, wenn ich in mein Zimmer wollte. Ich kniete mit einem Bein nieder und fing an, meine Schuhe aufzuschnüren. Maria stand dabei, massig und unbeweglich. Ich hob den Kopf und sagte: "Und meine Schultasche?"
    "Die nehm' ich selber mit. Ich habe noch dein Zimmer zu bohnern."
    Ich zog meine Windjacke aus, hängte sie neben Vaters großen schwarzen Mantel und sagte: "Danke schön, Maria."
    Sie schüttelte den Kopf, ihre graue Locke fiel wieder auf die Augen herunter, und sie klopfte mir auf die Schulter. Ich konnte zur Küche gelangen, öffnete leise die Tür und schloß sie hinter mir. Mama stand am Ausguß und wusch. "Guten Abend, Mama."
    Sie drehte sich um, ihre blassen Augen blickten über mich weg, sie sah nach der Uhr auf dem Küchenschrank und sagte in ängstlichem Ton: "Du kommst aber spät.“ "Es waren heute viele Schüler zur Beichte Und nachher hat mich Pater Thaler zurückbehalten.“ Sie fing wieder an zu waschen, und ich sah nur noch ihren Rücken. Sie fuhr fort, ohne mich anzusehen: "Deine Schüssel und deine Lappen sind auf dem Tisch da. Deine Schwestern sind schon bei der Arbeit. Beeile dich.“

    "Ja, Mama.“ Ich nahm die Schüssel und die Lappen und ging auf den Korridor. Ich ging langsam, um das Wasser in der Schüssel nicht zu verschütten. Ich kam am Eßzimmer vorbei, die Tür stand offen, Gerda und Bertha standen auf Stühlen am Fenster. Sie kehrten mir den Rücken zu. Dann ging ich am Salon vorbei und in Mamas Zimmer. Maria stellte den Schemel vors Fenster. Sie hatte ihn für mich aus der Rumpelkammer geholt. Ich sah sie an und dachte: ,Danke schön, Mari... aber ich öffnete den Mund nicht. Man durfte nicht sprechen, wenn man Fenster putzte. Nach einer Weile errung ich den Schemel in Vaters Zimmer, holte die Schüssel und die Lappen herüber, kletterte auf den Schemel und machte mich ans Putzen. Ein Zug pfiff, die Eisenbahnstrecke drüben füllte sich lärmend mit Rauch, ich ertappte mich dabei, daß ich mich zum Fenster hinausbeugen wollte, um zuzuschauen, und sagte ganz leise voller Entsetzen: 'Lieber Gott, gib, daß ich nicht auf die Straße hinausgesehen habe.' Dann setzte ich hinzu: 'Lieber Gott, gib, daß ich beim Fensterputzen keinen Verstoß begehe.' Danach sprach ich ein Gebet, fing an, halblaut einen Choral zu singen, und fühlte mich etwas wohler. Als Vaters Fenster fertig waren, wollte ich in den Salon gehen Am Ende des Korridors tauchten plötzlich Gerda und Bertha auf. Sie kamen hintereinander, jede mit ihrer Schüssel in der Hand Sie wollten nun das Fenster ihres Zimmers drannehmen Ich stellte den Schemel an die Wand, machte mich dünn, sie gingen an mir vorüber, und ich wandte den Kopf weg. Ich war der Älteste, aber sie waren größer als ich. Ich stellte den Schemel vor das Fenster des Salons und kehrte in Vaters Zimmer zurück, um die Schüssel und die Lappen zu holen; in einer Ecke setzte ich sie ab. Ich bekam Herzklopfen, schloß die Tür und betrachtete die Porträts. Es waren die drei Brüder, und Vaters Onkel, sein Vater und sein Großvater: Offiziere alle, alle in großer Uniform. Das Porträt meines Großvaters betrachtete ich länger: Er war Oberst gewesen, und man behauptete, ich sähe ihm ähnlich. Ich öffnete das Fenster und kletterte auf den Schemel; der Wind und der Regen drangen herein. Ich stand auf Vorposten und spähte im Sturm nach dem sich nähernden Feind aus. Dann wechselte die Szene, ich befand mich auf einem Kasernenhof und wurde von einem Offizier bestraft; der

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