Der Tod ist mein Beruf
fort: "Ich habe nicht gesagt, daß die Kinder 'geworfen' wurden. Ich habe gesagt, daß sie in den Gasraum 'geschickt' wurden."
Der Staatsanwalt sagte ungeduldig: "Auf das Wort kommt es nicht an."
Dann fuhr er fort: "Wurden Sie nicht durch das Verhalten dieser armen Frauen zu Mitleid gerührt, die, während sie für sich den Tod hinnahmen, verzweifelt versuchten, ihre Babys zu retten, indem sie sich auf die Großmut der Henker verließen?"
Ich sagte: "Ich konnte mir nicht gestatten, gerührt zu sein. Ich hatte Befehle. Kinder wurden als Arbeitsunfähige betrachtet. Ich mußte sie also vergasen."
"Es ist Ihnen also niemals in den Sinn gekommen, sie zu verschonen?"
"Es ist mir niemals in den Sinn gekommen, den Befehlen nicht zu gehorchen."
Ich fügte hinzu: "Was hätte ich außerdem in einem KZ mit Kindern angefangen? Ein KZ ist kein Ort, um kleine Kinder aufzuziehen."
Er begann wieder: "Sie sind selbst Familienvater?"
"Ja."
"Und Sie lieben Ihre Kinder?"
"Gewiß."
Er machte eine Pause, ließ seinen Blick durch den Saal schweifen und wandte sich dann an mich: "
Wie vereinbaren Sie die Liebe, die Sie für Ihre eigenen Kinder hegen, mit Ihrer Haltung gegenüber den kleinen jüdischen Kindern?"
Ich überlegte einen Augenblick und sagte: "Das steht in keinem Zusammenhang. Im Lager betrug ich mich als Soldat. Aber zu Hause betrug ich mich selbstverständlich anders."
"Wollen Sie damit sagen, daß Ihre Natur zwiespältig ist?"
Ich zögerte ein bißchen und sagte dann: "Ja, ich vermute, daß man die Sache so ausdrücken kann."
Aber ich tat nicht recht daran, so zu antworten, denn im Laufe seiner Anklage zog der Staatsanwalt Nutzen daraus, von meiner Zwiespältigkeit zu sprechen. Späterhin spielte er auf die Tatsache an, daß ich gegen manche Zeugen in Zorn geraten war, und rief aus: "Diese Zwiespältigkeit kommt auch in dem Wechsel des Gesichtsausdrucks des Angeklagten zum Durchbruch, der bald als ein ruhiger und gewissenhafter kleiner Funktionär erscheint und bald wie ein Rohling, der keine Hemmungen hat."
Er sagte auch, daß ich, nicht zufrieden damit, den Befehlen zu gehorchen, die aus mir "den größten Mörder der Neuzeit"
gemacht hätten, obendrein in der Durchführung meiner Aufgabe eine erschreckende Mischung von Heuchelei, Zynismus und Brutalität gezeigt hätte. Am 2. April verkündete der Präsident das Urteil. Ich hörte strammstehend zu. Es war, wie ich erwartet hatte.
Das Urteil bestimmte außerdem, daß ich nicht in Warschau gehängt werden sollte, sondern in meinem eigenen Lager in Auschwitz, und zwar an einem der Galgen, die ich selbst für die Häftlinge hatte errichten lassen. Nach einer Weile berührte mich der Posten, der rechts von mir stand, leicht an der Schulter. Ich nahm die Kopfhörer ab, legte sie auf meinen Stuhl, wandte mich zu meinem Verteidiger und sagte: "Ich danke Ihnen, Herr Rechtsanwalt."
Er nickte, drückte mir aber nicht die Hand. Ich ging mit dem Wachposten durch eine kleine Tür rechts vom Gerichtshof hinaus. Ich schritt durch eine lange Reihe von Korridoren, durch die ich noch nie gegangen war. Große Fenster erhellten sie, und die ihnen gegenüberliegende Wand warf das Licht zurück. Es war kalt. Einige Augenblicke später schloß sich die Tür meiner Zelle hinter mir. Ich setzte mich auf mein Bett und versuchte nachzudenken. Mehrere Minuten vergingen, ich fühlte nichts. Mir war, als ginge mich mein eigener Tod nichts an. Ich stand auf und fing an, in meiner Zelle hin und her zu gehen. Nach einer Weile merkte ich, daß ich meine Schritte zählte.
Karten
epub-Version 2012 erstellt von einem Schalke-Fan, Glück auf!
Gruß an SpiegelBest und die Hörspiel-Scene, Ahoi Piraten!
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