Der Tod kommt in schwarz-lila
Andere ließen sich auf einem Dünenkamm nieder und beharkten sich mit den scharfen Schnäbeln. Brinkmann wusste nicht viel über das Verhalten der Vögel. Aber das aufgeregte Gehabe der Tiere konnte nur eines bedeuten. »Da habt ihr aber einen echten Leckerbissen gefunden«, murmelte er den Möwen zu. Die ließen sich nicht von ihm stören. Sie flogen nicht einmal auf, als er nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war. Ihr ganzes Interesse galt dem Aas, auf das sie sich wieder und immer wieder stürzten.
Ein verendeter Heuler, eine Robbe vielleicht, bei der großen Anzahl der Vögel musste es schon ein großes Stück Fleisch sein. Brinkmanns Interesse war geweckt. Die frechen Biester ließen sich nicht so leicht verscheuchen. Er war nur noch wenige Schritte von der unüberschaubaren Zahl der Streithähne entfernt. Ihre ausgebreiteten Flügel versperrten ihm den Blick auf die Beute. Mit einer heftigen Bewegung gelang es Brinkmann schließlich, ein paar der Tiere zu verscheuchen, um das Aas in Augenschein zu nehmen.
Eine Beute mit Armen und Beinen.
Brinkmann stolperte und stürzte in den Sand. Hastig rappelte er sich wieder auf. So schnell ihn seine Beine trugen, rannte er zurück ins Dorf. Kraftlos und schweißnass hämmerte er an die erstbeste Tür. Eine alte Frau öffnete zögerlich.
»Wo ist das Telefon … schnell, das Telefon!« Er schlängelte sich an der Frau vorbei in den Flur.
Verängstigt schaute sie ihm nach und wähnte sich schon als Opfer eines Überfalls. Horst Brinkmann blickte sich suchend um und fand endlich einen altertümlichen Apparat auf einer kleinen Wandkonsole. Er stürzte darauf zu und riss den Hörer ans Ohr. Mit zitternden Fingern wählte er die Nummer der Polizei.
*
»Ich kann einfach nicht anders«, sagte Martin Trevisan ärgerlich und presste den Telefonhörer an sein Ohr. »Sie ist noch viel zu jung dafür. Und davon mal abgesehen, ist eine Bootstour auf der Nordsee auch nicht gerade ungefährlich. Was ist, wenn sie in schwere See kommen? Der junge Altermann hat zwar einen Bootsführerschein, aber es fehlt ihm noch an jeglicher Erfahrung. Ich verstehe gar nicht, dass seine Eltern so verantwortungslos sein können und diesen Unsinn auch noch erlauben.«
»Ich werde mit ihr reden. Ich komme morgen Mittag zu euch rüber«, antwortete Angela verständnisvoll.
Trevisans Ärger verflog. »Dann bring deine Zahnbürste und den Pyjama mit. Ich lade dich zum Frühstück ein.«
»Also gut, dann bis Morgen!« Sie verabschiedete sich.
Trevisan blickte nachdenklich auf das Bild an der Wand. Ein Bild von seiner Tochter und ihm.
Konnte Angela an die Stelle der Mutter treten? Würde er nach all den negativen Erlebnissen mit Grit jemals wieder mit einer Frau zusammenleben wollen? Jetzt, wo er sich an seine Freiheit gewöhnt hatte?
Er hatte Angela vor knapp einem Jahr auf der Geburtstagsfeier eines Kollegen kennen gelernt. Sie war eine hübsche und selbstbewusste Frau und ebenfalls geschieden. Sie hatten sich an diesem Abend lange unterhalten. Tags darauf hatten sie den Nachmittag miteinander verbracht. Beide spürten eine tiefe Zuneigung füreinander. Sie sagte ihm, dass sie ihre Freiheit erst wieder aufgeben würde, wenn sie sich absolut sicher sein konnte, dass es der Kerl auch wert war.
Mittlerweile war sich Trevisan klar darüber, dass er sie liebte. Wenn sie beisammen waren oder auch nur miteinander telefonierten, dann spürte er wieder dieses Kribbeln im Bauch. Ein Gefühl, das er lange schon verloren gewähnt hatte.
Außerdem verstand sie sich blendend mit Paula. Sie waren Freundinnen geworden.
Angela wohnte in Westerwerde und arbeitete als Journalistin bei einem Zeitschriftenverlag. Sie verdiente gut, fuhr einen kleinen Sportwagen und hatte ständig neue Klamotten. Sie war vierzig, doch das sah ihr keiner an.
Unter der Woche telefonierten sie jeden zweiten Tag miteinander und es tat immer gut, ihre Stimme zu hören. Auch heute hatte er zum Telefonhörer gegriffen und ihr von seinen Problemen mit Paula erzählt. Vielleicht gelang es ihr, Paula von diesem unsinnigen Gedanken mit dem Bootsausflug abzubringen.
Wo war Paula überhaupt? Seitdem sie so lautstark das Zimmer verlassen hatte, war sie nicht wieder aufgetaucht. Trevisan ging in den Flur. Hektische Technomusik drang durch das Treppenhaus. Sie war wohl oben in ihrem Zimmer. Er überlegte, ob er hinaufgehen sollte, um noch einmal mit ihr zu reden, doch er verwarf den Gedanken. Es war besser, etwas Zeit verstreichen zu
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