Der Tod kommt in schwarz-lila
eigentlich immer gewesen.
Damals, als er die neunte Klasse in Schortens übernommen hatte, war dieser Perfektionismus wohl auch einer seiner Angriffspunkte gewesen. Mit Schrecken dachte er an die Zeit zurück. Diese kleine durchtriebene Göre hatte es aber auch auf die Spitze getrieben. Ihm war die Hand einfach ausgerutscht. Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Und alles nur, weil sie beinahe durchgefallen wäre. Er hatte es immer gesagt: Die Welt war schlecht, die Menschen waren schlecht und auch die Jugend wurde immer schlechter. Und er wusste, wovon er sprach, schließlich war er vom Fach.
Seine Frau hatte immer nur den Kopf geschüttelt, wenn er so redete. Sie wusste es vielleicht nicht besser. Sie hatte es immer nur mit den Jüngsten zu tun gehabt. Sechs- bis Achtjährige. Die waren noch leicht zu bändigen. Waren noch wirkliche Kinder, Kinder mit großen Augen und kleinen Stupsnasen. Er hingegen unterrichtete ältere. Dreizehn, vierzehn, manchmal sogar schon sechzehn Jahre alt. Sie ahnte ja gar nicht, welche Gemeinheiten diese Teufel in ihren Köpfen ausbrüteten.
Seine Frau hatte einen leichten Tod gehabt. Früh morgens hatte er sie leblos im Bett gefunden. Ihr Gesicht war blau und auf ihren Lippen lag ein Lächeln. Der Tod war über sie gekommen, als er neben ihr friedlich geschlafen hatte. Sie hatte schon immer Probleme mit dem Herzen gehabt und Anfang der Woche hatten ihr Brustkorb und ihr linker Arm geschmerzt.
»Wenn es am Montag noch nicht besser ist, dann gehe ich zum Arzt«, hatte sie noch am Sonntagmorgen gesagt. Doch den Montag hatte sie nicht mehr erlebt.
Er hatte sie gewarnt. Mit Schmerzen im Brustkorb spaßt man nicht, hatte er zu ihr gesagt, doch sie hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen. Sie war gerade mal dreiundfünfzig, als sie starb. Er hatte nicht einmal einen Sohn oder eine Tochter, mit denen er seinen Schmerz teilen konnte. Er ertrug ihn alleine.
»Es ist schon klar, wenn man in einem gewissen Alter ist, noch nicht zum alten Eisen gehört und einem die Frau so früh wegstirbt, dann kann es passieren, dass man die Orientierung verliert«, hatte ihm der Polizist damals auf dem Revier gesagt. Doch Rudolf Gabler hatte genau gewusst, welche Antwort der Kommissar erwartete. Er wollte ihm eine Brücke bauen, den verständigen Freund und Partner, vielleicht sogar den Leidensgenossen spielen, doch Rudolf Gabler war nicht darauf eingegangen. Er hatte geschwiegen. Schuld, wer ist schon frei von Schuld?
Er war kurz vor seinem Ziel. Er verharrte und holte den Fotoapparat hervor. Alles musste vorbereitet sein. Keine unnötige Bewegung in ihrer Nähe. Sie sollten sich den Rest der Nacht an ihn gewöhnen, damit sie sich im ersten Morgenlicht so unbefangen verhielten, wie es nur möglich war. Er schaute auf seine Kamera. Das Display stand auf 13. Er blickte zum Himmel, dann holte er das Blitzgerät hervor und steckte es auf. Er hoffte, dass er es nicht brauchen würde, doch die schweren Wolken am Himmel und der stürmische Wind verhießen nichts Gutes. Er hatte nur noch den morgigen Tag.
Gabler ging vorsichtig weiter. Der Unterstand war nicht mehr weit entfernt, doch jedes Geräusch, jede Unvorsichtigkeit konnte ihn um die Früchte seiner Arbeit bringen. Er lauschte in die Nacht. Sie waren nah.
Plötzlich zerriss ein gequälter Schrei die Stille. Ein paar Vögel flatterten vor ihm auf und verschwanden in der Dunkelheit. Gabler fuhr der Schreck in die Glieder. Was war das?
Nichts war mehr zu hören. Hatten ihm seine Sinne einen Streich gespielt? Nein, die Vögel waren bestimmt nicht grundlos aufgeflogen. Gabler wandte sich um. Seine Finger umschlossen den Fotoapparat. Der Wind wehte ein leises Wimmern zu ihm herüber. Es war gespenstisch.
»Vielleicht ein Heuler«, beruhigte er seine angespannten Nerven, als er über die Düne stieg. Ein unvorsichtiger Schritt, und er strauchelte. Lang gestreckt fiel er in den weichen Sand. Die Taschenlampe stieß dumpf gegen seine Kamera. Leise zerbiss er einen Fluch auf den Lippen. Er raffte sich auf und griff nach der Lampe. Das Wimmern war verstummt. Er klopfte sich den Sand von der Jacke, dann ging er zögerlich weiter. Das östliche Ende der Insel lag schon vor ihm. Ein weiterer Sandhügel versperrte seinen Weg. Er erklomm den Gipfel und suchte die Umgebung mit der Taschenlampe ab. Plötzlich sah er einen Schatten. Direkt vor ihm tauchte er auf. Unmenschlich. Der Schatten sprang auf ihn zu. Bedrohlich.
Vor Schreck ließ Gabler die Lampe
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