Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
gesunden Verstand, war das nicht ein Zitat aus »Dawn of War«? War Franziska etwa eine Online-Gamerin? Frauen gab es in Tims nächtlichen virtuellen Welten kaum. Na ja, wenn er ehrlich war, tagsüber in seiner realen auch. Die würde er gerne mal kennenlernen.
Okay, kann ja durchaus sein, dass deine Story stimmt. Warum hat er dich denn eingesperrt? Will er Lösegeld? Hast du reiche Eltern?
Tim
Nur wenige Sekunden später kam die Antwort.
Wir w°r°n dr°i J°hr° zus°mm°n. Ich h°b° Schluss g°m°cht. °r m°int °b°r, ich müsst° ihn h°ir°t°n. °s ging° nicht °nd°rs, w°g°n v°rl°tzt°r °hr°. D°r ist völlig durchg°dr°ht. H°t mir °in° Frist bis h°ut° Mitt°g, zwölf Uhr, g°s°tzt. Ich tr°u° ihm °ll°s zu. Wirklich °ll°s!
Tims Puls beschleunigte sich. So ein Ehrenmord-Scheiß, das wurde ja immer schlimmer. So was denkt sich doch niemand aus.
Wo bist du denn angeblich eingesperrt, wie heißt dein Ex-Freund? Ich werde die dortige Kantonspolizei informieren, die werden dir helfen.
Tim
Das würde er wirklich tun. Sollten die Bullen sich doch kümmern.
Ich bin nicht unt°n b°i dir in d°r Schw°iz. Bin hi°r in H°mburg, D°utschl°nd. Musst° mir °in° Schw°iz°r °-M°il-°dr°ss° (.ch) b°sch°ff°n. W°g°n d°r f°hl°nd°n Buchst°b°n k°m°n d°utsch° und öst°rr°ichisch° °nbi°t°r nicht in Fr°g°.
D°r Typ h°ißt °rh°n Y°silyurt, 30 J°hr° °lt. °r hält mich hi°r in °in°m K°ll°r f°st, °k°zi°nw°g 42. °ig°ntüm°r sind im Url°ub. Ich fürcht°, d°s w°r nicht s°in °rst°r °inbruch. Ich gl°ub°, ich k°nn° ihn g°r nicht wirklich.
Fr°nzisk°
Tim war immer mehr geneigt, die Geschichte tatsächlich zu glauben. Eine Mail-Adresse bei einem Provider mit der Endung ».de« oder ».at« konnte man nicht benutzen, wenn einem die Buchstaben e und a nicht zur Verfügung standen. Tims Finger huschten über die Tasten.
Okay, dann will ich dir mal glauben. Ich rufe die Polizei in Deutschland an und schicke dir Hilfe.
Tim
Dann kam Franziskas letzte Mail:
D°nk°. Ich h°b° °cht °ngst. °rh°n ist völlig durchg°kn°llt. D°m ist in s°in°m Zust°nd °ll°s zuzu
Hör° ihn °uf d°r Tr°pp°. Muss j°tzt d°n R°chn°r °us
03:32 Uhr
Solange Tim Schmidt mit seinem Computer recherchierte, war alles noch relativ glatt gelaufen. Es gab laut »Google Maps« tatsächlich einen Akazienweg in Hamburg, bei »Telefonbuch.de« fand er die Rufnummern von sage und schreibe 47 Polizeikommissariaten. Echte Probleme tauchten erst auf, das war für ihn nicht neu, als er mit Menschen reden musste. Er hatte seine Geschichte schon dreimal in Ansätzen geschildert und wurde jetzt zum vierten Mal verbunden.
»Kriminaldauerdienst Hamburg, Wesskamp, was kann ich für Sie tun?«, hörte er endlich.
Tim erzählte zum hoffentlich letzten Mal, was er erfahren hatte. Ab und zu wurde er von knappen Fragen des Kriminalbeamten unterbrochen.
»Also, Herr Schmidt. Die angeblich Entführte heißt also Franziska, einen Nachnamen haben Sie nicht. Der Täter soll Erhan Yesilyurt heißen, der Tatort ist der Akazienweg 42.« Der Beamte hatte sich offenbar Notizen gemacht. In seiner Stimme meinte Tim, eine deutliche Spur von Misstrauen wahrzunehmen.
»Genau. Bevor ich mehr erfahren konnte, brach die Verbindung ab.«
»Und Sie rufen aus der Schweiz an?«
»Ja, wieso?« Der Kriminalbeamte war eindeutig skeptisch.
»Nun ja, es dürfte rein rechtlich schwierig sein, hier konkrete Maßnahmen aufgrund eines bloßen Anrufes einer nicht sicher identifizierten Person aus dem Ausland zu ergreifen. Sie sollten am besten mit ihren ausgedruckten E-Mails zur nächsten Polizeiwache in Basel gehen. Die dortigen Kollegen können Ihre Personalien überprüfen und uns die Unterlagen auf dem Weg der Rechtshilfe zukommen lassen.«
»Wie lange dauert so was denn? Wir haben keine Zeit, dieser Erhan hat eine Frist bis heute Mittag gesetzt. Das sind knapp acht Stunden.«
»Äh …, wenn ich ganz ehrlich sein soll, der Rechtshilfeweg dauert normalerweise schon ein paar Tage. Also, am besten, ich recherchiere jetzt erst einmal ihre Angaben und melde mich dann gleich bei Ihnen.«
05:17 Uhr
Tim Schmidt schreckte hoch. Er war mit dem Kopf auf dem Schreibtisch eingenickt. Telefon.
»Kriminaldauerdienst Hamburg, Wesskamp. Herr Schmidt?«
»Ja?«
»Also, um es kurz zu machen. Es gibt zwar einen Erhan Yesilyurt in Hamburg, der ist aber Anfang sechzig, verheiratet und hat vier Kinder. Und der
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