Im Bann der Dämonin
PROLOG
Chiesa del Santissimo Redentore
Gegenwart
W er wird es sein?
Im schmucklosen marmornen Innenraum der Renaissancekirche stand Luciana Rossetti und betrachtete die Eröffnungszeremonie eines Festes, das sie verabscheute. Dämmriges Licht drang durch die hohen Fenster und beleuchtete schwach das Bronzekruzifix, das hoch über dem Altar hing. Um Punkt neunzehn Uhr begannen die Priester ihre feierliche Prozession durch das Kirchenschiff.
Ja, so ein Priester wäre eine wunderbare Opfergabe, schoss es Luciana amüsiert durch den Kopf und sie stellte sich vor, wie scharlachrote Blutflecke die prachtvollen creme- und goldfarbenen Ornate befleckten.
Oder lieber etwas Einfacheres? Jemand aus der staunenden Menge von Gottesdienstbesuchern und Touristen?
Im Grunde war es ihr egal. Sie hasste sie alle.
Außerdem endeten alle Menschen irgendwann gleich. Tot und begraben.
Ihr idiotischen Sterblichen. Ihr habt ja keine Ahnung, was das Jenseits wirklich für euch bereithält. Wenn ihr das wüsstet, würden die meisten von euch augenblicklich schreiend aus der geliebten Basilika des Erlösers rennen . Ein Lächeln umspielte Lucianas Mundwinkel, während sie darüber nachdachte.
Ein einzelnes Tröpfchen Schweiß lief zwischen ihren perfekt geformten Brüsten herunter und rann ins Mieder ihres Seidenkleids. Sie schloss für einen Moment die blassgrünen Augen vor dem Sonnenlicht, das ihr Gesicht wärmte. Anders als diese Herde von Idioten war sie nicht hier, weil sie das Erlöserfest feiern wollte.
Nein, sie hatte eine vollkommen andere, eine böse Absicht:Dem Herrscher der Finsternis die Ehre erweisen.
Luciana Rossetti war hier, da sie sich auf der Jagd befand.
Sie würde sich aus der Masse der Gläubigen, die sich an diesem heißen Juli-Wochenende hier versammelt hatten, ihr Opfer wählen. Ein einzelnes Opfer, das sie eintauschen würde gegen gewisse Privilegien und Freiheiten, die ihr dafür in der Welt der Dämonen garantiert wurden. Es war eine Opfergabe für den Herrn der Finsternis.
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Seele um Seele.
Von der Kanzel herab dröhnten die Worte des Geistlichen. Erlösung. Rettung. Darum ging es.
„Wir danken unserem Herrn Jesus Christus für die Erlösung, die er Venedig zuteilwerden ließ, als er die aller durchlauchteste Republik 1577 von der Pest befreite. Aus Dankbarkeit haben damals die Bürger Venedigs diese Kirche gestiftet.“
Das mit der Erlösung, überlegte Luciana, ist eine seltsame Angelegenheit.
Fünfzigtausend Menschen hatte die Pest damals dahingerafft. Ein Drittel der Bevölkerung war ausgelöscht worden, ihre Leichname in Massengräbern bestattet. Ein halbes Jahrhundert später kehrte die Pest jedoch nach Venedig zurück, um sich diesmal achtzigtausend Seelen zu greifen. Doch davon erwähnte der brave Priester nichts. Aber was konnte man auch schon von einem Mann erwarten, der einen mittelalterlichen Kopfschmuck trug und mit all seinen Ritualen offensichtlich viele Hundert Jahre in der Vergangenheit verhaftet war.
Wenn das die Erlösung sein soll, wähle ich auf jeden Fall die Alternative . Darüber musste Luciana nicht lange nachdenken.
Hinter ihr murmelte und brummelte jemand mit leiser Stimme unzufrieden vor sich hin, allerdings war es unmöglich, irgendein Wort zu verstehen. Luciana wandte sich um und bemerkte eine alte Frau in der Bank hinter ihr. Als die Alte Lucianas Gesicht erblickte, erstarrte sie, und im selben Moment durchbrach ihr plötzliches Geschrei die Stille und schreckte dieandächtig lauschende Menge auf.
„Demonessa!“ , schrie die Frau und zeigte mit dem Finger auf Luciana. „Una demonessa nella casa di Dio!“
Eine Dämonin im Haus Gottes.
Jeder Einzelne der Besucher schien zu erstarren und drehte sich nun zu der verrückten alten nonna um, die gar nicht mehr aufhören wollte zu zetern. Unter ihren prüfenden Blicken setzte Luciana ein frommes Lächeln auf und versuchte, rein und unschuldig wie ein Täubchen zu wirken. Sie hatte einen Platz ganz außen in der Kirchenbank gewählt, jederzeit bereit, die Flucht zu ergreifen. Doch das war hoffentlich nicht nötig.
Die Menschen erkannten sie so gut wie nie.
Nur ganz selten. Sehr selten.
„Mamma! Basta!“ , fuhr ihr Sohn die Alte an, ein kahl werdender Mann um die fünfzig, der vor Scham errötete, während er seine Mutter zurechtwies. Er flüsterte eine an die Gemeinde gerichtete Entschuldigung, in der er etwas von Alzheimer und vergessenen Medikamenten murmelte. Dann zerrte er die
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