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Der Todesbote

Der Todesbote

Titel: Der Todesbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaques Buval
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rekonstruiert
    Die meterhohen, unüberwindbaren Mauern, gekrönt mit vom Rost zerfressenem Stacheldraht, schützen die Bevölkerung der Stadt Zhitomir. Schwer bewaffnete Scharfschützen in den zahlreichen Ecktürmen bewachen Tag und Nacht das Gelände des ältesten und sichersten Gefängnisses der Ukraine. Der graue, uralt wirkende Gebäudekomplex ist noch aus dem vorigen Jahrhundert. Der Putz des Hauptgebäudes bröckelt von den Wänden, die maroden Elektroleitungen hängen wirr umher. Die Dachrinnen sind durchlöchert. Ein wenig verwahrlost wirkt die Herberge des Grauens, und doch erfüllt sie ihren Zweck. Die unzähligen tristen Zellen entlang der verwinkelten Gänge mit ihren vielen Eisen- und Gitterschleusen werden zum Getto der Ausgestoßenen dieses Landes.
    Wer hier einsitzt, hat alle Rechte eines Menschen verloren, ist vogelfrei, meist für den Rest seiner Tage. Als menschenunwürdig bezeichnen es die Insassen. Die Bevölkerung ist da anderer Meinung. Viel zu lasch sei der Strafvollzug der Neuzeit – auch in diesem Lande. Dabei rücken die Wände der Zellen immer näher zusammen, zerquetschen den Geist und lassen die Gefühle erkalten.
    Nervosität bestimmt und beherrscht an diesem Tag den Hochsicherheitstrakt der Vollzugsanstalt von Zhitomir. Die Gefangenen spüren die Aufregung unter den Beamten, die sich durch besonders laute Befehle bemerkbar macht. Zum dritten Mal schon wird der Gefangenenhilfsarbeiter zum Wischen des Ganges aufgefordert, bis ein Rollkomando, bestehend aus besonders kräftigen und ausgebildeten Beamten, Aufstellung auf dem Gang nimmt. Vier durchtrainierte Sicherheitsleute der Miliz nehmen Aufstellung vor der Zelle mit der Nummer 12, deren Einrichtung der höchsten Sicherheitsstufe entspricht.
    Türen und Fenster sind doppelt vergittert.
    Erst als der Oberstaatsanwalt in einem dunklen Anzug vor der Zelle eintrifft, werden die Beamten aktiv. Ein Blick durch den Spion an der Zellentüre und das Aufrufen des Namens des Insassen genügt und der Beamte kann sich vergewissern, das sich der Häftling in der vorgeschriebenen Position in seiner Zelle befindet. Mit dem Gesicht zur Wand, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, wartet der Gefangene auf weitere Befehle.
    Die schwere Eisentüre wird entriegelt.
    »Anatolij Onoprienko, raustreten«, ruft man im Befehlston dem Häftling entgegen.
    Ein stummes Nicken, und der Gefangene verlässt die Zelle.
    Ein eigenartiges Bild. Vier hoch gewachsene Männer empfangen einen nur 1,60 m großen, verschüchtert wirkenden Gefangenen. Handschellen klicken. Man weiß, man hat einen der als besonders gefährlich eingestuften Häftling vor sich, auch wenn er nicht den Klischeevorstellungen eines Schwerstkriminellen entspricht. Der Wachtrupp setzt sich in Bewegung. Die ungleiche Prozession begibt sich zum Ausgang des Gebäudes. Der an Händen und Füßen gefesselte Gefangene hat Mühe, Schritt zu halten. Er macht betont kleine Schritte, um nicht den Unmut seiner Bewacher heraufzubeschwören.
    Schnaubend erreicht er die schwere Eisentür des Ausganges.
    Das fast vier Meter hohe, graublaue, zweiflügelige Eisentor öffnet sich an diesem wolkenverhangenen Tag ungewohnt früh.
    Der große Parkplatz vor den grauen, tristen Mauern ist mit zahlreichen Polizeiwagen und zivilen Fahrzeugen der Miliz belegt. Ein Mittelklassewagen des Staatsanwaltes verlässt unter den Blicken der umstehenden Beamten das Tor. Er hält kurz an, und während sich zwei Fahrzeuge vor dem Wagen postieren, schließen sich die übrigen Autos zu einem großen Konvoi hinter dem Fahrzeug des Staatsanwaltes an.
    Die Wagenkolonne bahnt sich ihren Weg durch die Stadt Zhitomir. Nur wenige Passanten an den Straßenrändern nehmen es fast gelangweilt zur Kenntnis. Sie sind sich sicher, dass wieder einmal irgendeiner der Bonzen oder Funktionäre auf Kosten der armen Leute durch die Stadt chauffiert wird.
    Dabei fährt man zu dieser morgendlichen Stunde den meistgehassten Menschen dieses Landes durch die Straßen.
    Jeder kennt ihn aus unzähligen Fernsehberichten und Zeitungsartikeln. Alle Bürger dieser Stadt haben sein Bild sehen können. Doch niemand erkennt, dass dieses Aufgebot notwendig ist, um ungefährdet durch die Straßen zu kommen.
    Der aufgestaute Hass gegen Onoprienko kennt keine Grenzen unter der Bevölkerung. Gemäß einer Umfrage wollen fast alle der Befragten den Täter öffentlich hingerichtet sehen.
    Unbehelligt verlässt der Konvoi die Stadt und macht sich auf den Weg zu einer Landstraße im

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