Der Tote am Steinkreuz
Cashel zu senden, weil sie sich nicht auf die Gesetzeskenntnis ihrer unerfahrenen Tochter verlassen wollte. Das finde ich seltsam.«
Sie schaute nach der Kapelle. Eadulf folgte ihrem Blick. Die Tür des Gotteshauses stand offen.
»Ob wohl der gestrenge Pater Gormán zurückgekehrt ist?« überlegte sie laut. Dann ging sie entschlossen auf die Kapelle zu und rief: »Komm, Eadulf, sehen wir nach.«
Eadulf stöhnte innerlich, als er ihr folgte, denn nach allem, was sie gehört hatten, würden der Priester und Fidelma wie Hund und Katze sein.
In der düsteren Kapelle waren Kerzen angezündet. Der Weihrauchduft, der das ganze tannenholzgetäfelte Gebäude erfüllte, schlug ihnen sofort entgegen. Er war außerordentlich stark. Mit einem Blick erfaßte Fidelma den Reichtum der Innenausstattung. Goldgerahmte Heiligenbilder hingen an den Wänden, und ein feingearbeitetes silbernes, mit Juwelen besetztes Kreuz befand sich auf dem Altar mit einem einfachen Silberkelch davor. Es gab kein Gestühl in der Kapelle, denn nach der Sitte stand die Gemeinde während des Gottesdienstes. Die mit Parfüms und Gewürzen getränkten brennenden Kerzen verbreiteten einen Geruch, der ihnen fast den Atem nahm. Pater Gormán war offensichtlich der Hirte einer reichen Kirche und Gemeinde.
Ein Mann kniete im Gebet. Fidelma blieb an der Tür stehen, Eadulf an ihrer Seite. Der Mann schien ihre Anwesenheit zu spüren, denn er blickte über die Schulter, beendete sein Gebet und bekreuzigte sich. Dann erhob er sich und kam zu ihnen.
Pater Gormán war hochgewachsen, schlank, von fast weiblicher Gestalt, doch mit dunklem Teint, fleischigem Gesicht, dicken roten Lippen und schütterem ergrauendem Haar, das einst so schwarz gewesen sein mußte wie seine blitzenden Augen. Der hübsche junge Mann von einst war noch erkennbar, obwohl Fidelma jetzt eher den Eindruck eines Wüstlings mittleren Alters hatte, der gar nicht mit ihrer Vorstellung von einem feurigen katholischen Priester übereinstimmen wollte. Er begrüßte sie mit einer tiefen, grollenden Stimme, in der die Verkündigung von Höllenfeuer und Verdammnis mitschwang. Ohne Überraschung stellte sie fest, daß die corona spina in sein Haar eingeschnitten war, das Zeichen eines Geistlichen römischer Ausrichtung, und nicht die Tonsur eines Anhängers der irischen Kirche. Verwundert sah sie, daß er rauhlederne Handschuhe trug.
Sein Blick schien sich aufzuhellen, als er Eadulfs römische Tonsur erblickte.
»Sei gegrüßt, Bruder«, sagte er mit dröhnender Stimme. »Also haben wir noch jemanden unter uns, der dem Pfad der wahren Weisheit folgt?«
Eadulf war diese Begrüßung peinlich.
»Ich bin Eadulf von Seaxmund’s Ham. Ich hätte nie erwartet, in diesen Bergen eine so reiche Kapelle zu finden.«
Pater Gormán lachte freundlich.
»Die Erde versorgt uns, Bruder. Die Erde sorgt für die, die des rechten Glaubens sind.«
»Pater Gormán?« Fidelma schaltete sich ein, bevor das Gespräch den Gang nehmen konnte, auf den es der Priester gelenkt hatte. »Ich bin Fidelma von Kildare.«
Die funkelnden dunklen Augen schätzten sie ab.
»Ach ja. Dubán hat mir von dir berichtet, Schwester. Sei willkommen in meiner kleinen Kapelle. Cill Uird nenne ich sie, die Kirche des Rituals, denn durch ihr Ritual finden wir zum rechten christlichen Leben. Gott segne dein Kommen, heilige deinen Aufenthalt und lasse dich in Frieden ziehen.« Fidelma dankte mit einem Kopfneigen für die Begrüßung.
»Wir würden uns freuen, wenn du uns einige Minuten deiner Zeit schenkst, Pater. Du hast sicher schon von dem Zweck unseres Besuchs gehört?«
»Das habe ich«, stimmte der Priester zu. Er winkte ihnen, ihm zu folgen, und führte sie durch die Kapelle in einen kleinen Nebenraum, anscheinend die Sakristei, denn er enthielt eine Bank, auf der ein bunter Mantel lag. Davor stand ein Stuhl. Wortlos räumte Gormán den Mantel fort und bedeutete ihnen, auf der Bank Platz zu nehmen, während er sich auf den Stuhl setzte und dabei seine Handschuhe auszog.
»Du wirst mir verzeihen?« sagte er, als er ihren fragenden Blick auffing. »Ich bin gerade erst in den rath zurückgekehrt. Ich trage immer Handschuhe beim Reiten, um meine Hände zu schonen.«
»Ein Priester mit einem Reitpferd ist ungewöhnlich«, meinte Eadulf.
Pater Gormán lachte leise.
»Ich habe reiche Förderer, die mir ein Pferd zu meiner Bequemlichkeit bewilligten, denn ich würde viele Tage brauchen, meine Herde zu betreuen, wenn ich alles zu Fuß besorgen
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