Der Tote am Steinkreuz
anderen Punkt im Raum.
»Nun …«, Fidelma lehnte sich zurück und lächelte fröhlich. Ihr Ton war angeregt. »Nun wollen wir diese langweiligen Fragen der Sitten und Gebräuche vergessen, denn wir haben eine wichtige Arbeit vor uns.«
Auch diesmal gab es keinen Zweifel daran, daß Fidelma Cranat und Crón wegen ihres hochfahrenden Verhaltens tadelte, und sie wußten es auch. Sie schwiegen, denn darauf gab es keine vernünftige Antwort.
»Ich muß dir ein paar Fragen stellen, Cranat.«
Die steif dasitzende Frau schnaubte. Sie brachte es nicht über sich, Fidelma anzuschauen.
»Das wirst du dann wohl auch tun«, antwortete sie humorlos.
»Wie ich erfahren habe, warst du es, die einen Boten zu meinem Bruder nach Cashel schickte mit der Anforderung, einen Brehon hierher zu entsenden. Ich habe gehört, du hättest das ohne Wissen und Zustimmung deiner Tochter getan, die hier Tanist ist. Warum das?«
»Meine Tochter ist noch jung«, sagte Cranat. »Sie hat keine Erfahrung in Rechtsprechung und Politik. Ich bin überzeugt, daß diese Angelegenheit angemessen geregelt werden muß, damit kein Makel an der Familie von Araglin haften bleibt.«
»Warum sollte das geschehen?«
»Die Art des Geschöpfes, das die Verbrechen begangen hat, und die Tatsache, daß er der Adoptivsohn von Lady Teafa ist, könnten Leute veranlassen, das Haus Araglin zu verleumden.«
Fidelma hielt das für eine plausible Erklärung.
»Kehren wir nun zu dem Morgen vor sechs Tagen zurück, als du vom Tode deines Gatten Eber erfuhrst.«
»Ich habe schon erklärt, was geschah«, warf Crón schnell ein.
Fidelma schnalzte ärgerlich mit der Zunge.
»Du hast mir die Ereignisse aus deiner Sicht geschildert. Jetzt frage ich deine Mutter.«
»Da gibt es nicht viel zu sagen«, meinte Cranat. »Ich wurde von meiner Tochter geweckt.«
»Zu welcher Zeit?«
»Gerade als die Sonne aufging, glaube ich.«
»Was geschah dann?«
»Sie sagte mir, daß Eber ermordet worden sei und daß Móen die furchtbare Tat begangen habe. Ich kleidete mich an und kam hierher in die Festhalle zu ihr. Dann brachte Dubán die Nachricht, daß auch Teafa erstochen aufgefunden worden war.«
»Gingst du zu Ebers Leiche?«
Cranat schüttelte den Kopf.
»Du gingst nicht hin, um deinem toten Gatten die letzte Ehre zu erweisen?« fragte Fidelma überrascht.
»Meine Mutter war zu tief erschüttert«, wandte Crón entschuldigend ein.
Fidelma blickte weiter in die kalten blauen Augen Cranats.
»Du warst zu tief erschüttert?«
»Ich war zu tief erschüttert«, wiederholte Cranat.
Fidelma wußte instinktiv, daß Cranat als billige Entschuldigung benutzte, was ihre Tochter ihr vorgegeben hatte.
»Sag mir, warum du nicht das Schlafzimmer mit deinem Gatten teiltest.«
Crón fuhr empört auf.
»Wie kannst du es wagen, solch eine unverschämte Frage …«, setzte sie an.
Fidelma sah Crón mit zusammengekniffenen Augen an.
»Ich wage es«, erwiderte sie unbeeindruckt, »weil ich eine Anwältin bei Gericht bin, und keine Frage, die darauf abzielt, die Wahrheit ans Licht zu bringen, ist unverschämt. Ich meine, Crón von Araglin, du hast noch viel zu lernen von der Weisheit und den Pflichten eines Fürsten. Deine Mutter tat recht daran, einen Brehon aus Cashel kommen zu lassen.«
Crón schluckte und lief rot an. Bevor ihr eine passende Antwort einfiel, hatte sich Fidelma wieder an Cranat gewandt.
»Nun, Lady?« fragte sie scharf.
Cranats eisiger Blick bot ihr einen Moment Trotz, doch Fidelmas feurige grüne Augen nahmen die Herausforderung an und beugten sich nicht. Schließlich sanken Cranats Schultern resigniert herab.
»Schon seit vielen Jahren teilte ich nicht mehr das Bett meines Mannes«, antwortete sie leise.
»Warum?«
Cranats Hände bewegten sich unruhig auf ihrem Schoß.
»Wir hatten uns auseinandergelebt in … in dieser Hinsicht.«
»Und das hat dich nicht gestört?«
»Nein.«
»Und Eber vermutlich auch nicht?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Du kennst die Ehegesetze so gut wie ich. Wenn es sexuelle Hindernisse zwischen euch gab, konnte jeder von euch die Scheidung beantragen.«
Cranats Gesicht rötete sich.
Crón blickte auf Eadulf, der unbewegt dasaß.
»Muß der Angelsachse dabei sein und das alles mit anhören?« fragte sie.
Eadulf war ein wenig verlegen und wollte aufstehen.
Fidelma winkte ihm, sitzen zu bleiben.
»Er ist hier, um unsere Rechtsverfahren kennenzulernen. Vor dem Gesetz gibt es nichts, dessen man sich zu schämen
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