Der Tote im Kofferraum
beichten, daß sie mit dem Auto nicht ganz zurechtgekommen war und daß Eru es abholen mußte. »Es ist ein tolles Auto, Huia. Es brachte mich im Nu ans Ziel, aber ich habe mich noch nicht ganz an dieses Modell gewöhnt.«
Sie rannte geschwind die Treppe hinauf, schaltete das Licht ein und betrachtete sich im Spiegel. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte traurig zu ihrem Spiegelbild: »Delia Hunt, du bist ein hoffnungsloser Fall. Du solltest doch eigentlich die Symptome schon kennen: Du bist dabei, dich wieder zu verlieben. Versuche nicht, es zu leugnen. Und du bist darüber nicht glücklich. Versuche auch das nicht zu leugnen.«
6
Die Leuchtziffern auf Delias Uhr zeigten Mitternacht an. Sie wälzte sich unruhig in ihrem Bett und betrachtete das blasse Mondlicht, das zum Fenster hereindrang. Die Lücke zwischen den Vorhängen ärgerte sie, und sie stand auf, um sie dichter zusammenzuziehen. Einen Moment lang blieb sie am Fenster stehen und schaute hinunter in den winterlichen Garten. Auf der einen Seite war der mächtige Baumstumpf des Pohutukawa zu sehen, den Warwick-Smith der Hochspannungsleitung zuliebe geopfert hatte, und Delia erinnerte sich an die tiefe Enttäuschung, die sich auf Huias Gesicht gespiegelt hatte, als sie von diesem Vandalismus erzählte.
Unten auf dem Rasen spielte ein schwacher Lichtschein vor Graces Fenster. Das bedeutete, daß auch sie nicht schlief. Kein Wunder, daß Grace nach einem solchen Tag keinen Schlaf fand. Delia konnte nicht fassen, daß erst achtzehn Stunden vergangen waren, seit sie zu Hause in ihrem eigenen Bett erwacht war. Sie hatte wegen ihres zeitigen Aufbruchs früh aufstehen müssen. Dieser verdammte zeitige Aufbruch! Nur deshalb war sie in den Nebel gekommen und in diesen seltsamen Mordfall verwickelt worden. Ohne ihn wären Keith Wallace und sie über jeden Verdacht erhaben.
Delia hatte wohl bemerkt, wie Wright sie bei aller Freundlichkeit und Höflichkeit aufmerksam beobachtete, und daß er nicht glaubte, sie hätte Warwick-Smith nie zuvor gesehen und Keith Wallace rein zufällig getroffen. Kurz, er schloß die Möglichkeit nicht aus, daß sie und Wallace zusammenarbeiteten.
Delia ging nicht ins Bett zurück. Sie war unruhig wegen Grace. Möglicherweise ging es ihr schlechter. Vielleicht brauchte sie sie. Sie zog einen Morgenmantel und warme Pantoffeln an und stieg leise die Treppe hinunter. Falls Grace nämlich bei Licht schlief, wollte sie sie nicht stören.
Vor der angelehnten Tür von Graces Schlafzimmer, wo sie ihrer Arbeitgeberin vor zwei Stunden beim Auskleiden geholfen hatte, blieb sie stehen. Dabei dachte sie, daß eigentlich nur drei Räume in dem großen Haus den persönlichen Geschmack der Besitzerin widerspiegelten: ihr eigenes Zimmer, Mrs. Warwick-Smith’ Wohnzimmer und dieses Schlafzimmer. Alle anderen Räume, die beiden Salons im Parterre, Mr. Warwick-Smith’ Arbeitszimmer, sein Schlafzimmer und die übrigen Gästezimmer waren genauso protzig eingerichtet, wie man es schon von draußen beim Anblick der Villa erwartete.
Aber dieses Schlafzimmer war voller Charme — eine etwas luxuriösere Variante ihres eigenen Zimmers. Die wenigen Bilder waren mit Bedacht ausgewählt, ebenso die zarten Farbabstufungen an Vorhängen und Wänden. Das Bett war sehr einfach; auf dem Nachtschränkchen daneben standen einige gute Bücher, auf dem Tisch Blumen. Zuerst war sie sehr überrascht gewesen, als sie in dem Zimmer nur ein Bett sah. Dann aber hatte sie herausgefunden, daß Henry am anderen Ende des Ganges ein eigenes Schlafzimmer hatte. Offensichtlich wollte Grace allein schlafen. Sie war eben eine kranke Frau.
Sie schief nicht, sondern saß aufrecht im Bett, gegen die Kissen gelehnt. Sie las nicht, sondern starrte aus dem Fenster, dessen Vorhänge zurückgezogen waren. Ihr Gesicht sah traurig aus, und Delia versuchte sich vorzustellen, wie ihr zumute war, während sie den Mondschein betrachtete. Sie wollte sich Mühe geben, taktvoll zu sein, klopfte leise an und betrat dann das Zimmer.
»Kann ich irgend etwas für Sie tun?« fragte sie besorgt. Grace wandte sich ihr lächelnd zu. »Eine Tasse Tee könnte mir nicht schaden. Man sagt, daß Frauen alles im falschen Augenblick möchten. Trinken Sie eine Tasse mit?«
»Ja, gerne. Es wird nicht lange dauern.« Delia ging in die hochmoderne Küche am anderen Ende der Halle — in Huias Reich, von dem die alte Maori-Frau Delia im Vertrauen gestanden hatte: »Zu viele Sachen, die Leben angeblich
Weitere Kostenlose Bücher