Wenn moeglich bitte wenden - Abenteuer eines Autofahrers
Kein Bier auf Hawaii und kein Diesel an der Zapfsäule
Warum man an Tankstellen alles außer Benzin kaufen sollte
Bestimmt erinnern auch Sie sich noch an die Tankstellen der 70er und 80er Jahre. Eine wacklige Preistafel, zwei Zapfsäulen und ein winziges Kassenhäuschen, in dem es nach Schweiß, Altöl und abgestandenem Zigarettenrauch roch, das waren die Markenzeichen dieser leider längst vergangenen Autoepoche. An den Zapfsäulen schob ein »Tankwart« Dienst, und hinter der Kasse hockte ein missmutiger Kerl mit vernarbtem Gesicht, aus dem furchterregende Bartstoppeln sprossen. Sein ölbeschmierter Blaumann spannte über einem gewaltigen Bierbauch. Meist hockten noch ein, zwei finstere Gesellen dabei, die entweder rauchten, Fußball auf einem winzigen, ständig flackernden Schwarzweißgerät guckten oder aber über Zündkerzen fachsimpelten. Sie selbst, mit dem abgezählten Geld »für die eins« in der Hand, waren der einzige Fremdkörper in dem Ensemble.
Aber es gab Benzin. Vielleicht gab es manchmal auch abgelaufene Kaugummis (die gelben von Wrigleys), die verstaubt auf einem rostigen Ständer am Kassentisch hingen. Das war dann ein großes Konsumerlebnis, das für manche langweilige Stunde auf der Autobahn entschädigte. Niemand hätte sich damals aus einem Supermarkt die gelben Wrigleys geholt, ebenso wenig wie heutzutage jemand freiwillig Tomatensaft kaufen und vor allem trinken würde, es
sei denn, er beträte ein Flugzeug. Dann will er Tomatensaft.
»Mit Salz und Pfeffer?«
»Ja, bitte.«
Es ist schon klar: Die gelben Wrigleys waren der Tomatensaft der 80er-Jahre-Tankstellen. Doch die guten, alten Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Die heutige Tankstelle ist eine Mischung aus Konsum- und Wellness- Tempel. Sie ist Bäckerei, Bistro, Lottoannahmestelle, Schreibwarenladen, Feinkost- und Gemüsehandel, Bankfiliale und vieles mehr. An einsamen Bundesstraßen hat sie längst die Rolle der Heimstätte vieler hoffnungslos verlorener Autofahrerexistenzen eingenommen, die – würden sie ehrlich auf die Frage nach ihrem wirklichen Lebensmittelpunkt antworten- ihr Reihenendhaus in Eschborn verschweigen und stattdessen »Aral bei Heidenau« oder »die Shell an der Vierundneunzig« sagen müssten. Die Entwicklung der Tankstelle von der rostigen Notversorgungsstätte zum multifunktionalen Einkaufszentrum ist natürlich grundsätzlich zu begrüßen, würde man nicht gelegentlich tanken müssen...
Mit Schrecken denkt Harald Grützner an jenen Mittwochmorgen zurück, an dem er um kurz vor zehn aus einem Dreisterne-Hotel in einem Dortmunder Vorort stürzte, wo er zwar selig, aber leider viel zu lange geschlummert hatte. Seine Geschäftspartner von Routex sollte er um zwölf zum Mittagessen im 120 Kilometer entfernten Osnabrück treffen. Mit brummendem Schädel, leerem Magen und einer Saulaune warf Harald sich in seinen Wagen und startete nervös den Motor. Die enge Terminlage und das ausgefallene Frühstück
verdankte er einer ungünstigen Verquickung am Vorabend, die sich aus dem zuvor geplatzten Geschäft, drei anschließend im Discounter erworbenen Flaschen »Tempranillo Reserva Grande«, der »langen Nacht des Bud-Spencer-Films« auf 3sat und einem eindeutig falsch gestellten Handy-Wecker zusammensetzte. Harald fluchte, doch für Selbstmitleid blieb nun wirklich keine Zeit.
»Binng«, tönte es aus dem Armaturenbrett. »Oh nein, nicht das«, stöhnte Harald verzweifelt. »IhrTreibstoffvorrat befindet sich auf kritischem Niveau«, flötete die Computerstimme. »Bitte bevorraten Sie sich umgehend.« Verzweifelt starrte Harald auf die Tankanzeige. Jetzt schoss ihm durch den Kopf, dass er gestern generös beschlossen hatte, nach dem pünktlichen Aufstehen ein paar Meter zu laufen, dann den Wagen zu betanken, zu duschen und danach ausgiebig zu frühstücken, um schließlich gegen neun das Hotel zu verlassen und mit ausreichendem Zeitvorrat über die hoffnungslos verstaute A1 nach Osnabrück zu fahren. »Binng.«
»JA, verdammt!«, schrie Harald und scannte nervös die beiden Fahrbahnseiten. »Binng. IhrTreibstoffvorrat befindet sich auf kritischem...« Harald prügelte auf den Lautstärkeregler am Multifunktionsterminal ein. Sein Schädel brummte lauter. Doch als er wieder aufblickte, sah er die rettende Leuchtreklame einer Marken-Tankstelle hinter der nächsten Ampelkreuzung aufblitzen. Mit Triumphgeheul lenkte er den Wagen in die Einfahrt und wollte gerade den ersten Tankplatz ansteuern, als
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