Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
Ajax und Achill, die auf den Steinen vor dem Springbrunnen lagen, hoben träge ihre Köpfe.
Der Ex-Konsul strich kurz über ihre Schnauzen und schlenderte ins Haus, wo ihn ein köstliches Mittagessen erwartete. Gefüllte Lammschulter, über Stunden im Ofen bei kleiner Flamme geschmort. Lisa, seine Köchin, stammte aus einer Bauernfamilie in Champs-Rabats, einem nahe gelegenen Dorf. Ihr Bruder besaß die größte Schafherde weit und breit, und seine Lämmer landeten in regelmäßigen Abständen in Louis Bouviers Kochtöpfen.
Das Leben ist schön, dachte der Ex-Konsul, als er die Haustür öffnete. Der Anrufbeantworter in der Halle blinkte. Eine Nachricht von seinem Freund und Nachbarn Jean-François Kahn.
»Hallo, Louis, ich bin’s. Wenn es dir recht ist, komme ich schon gegen halb sechs. Sonst sag mir kurz Bescheid.«
Louis Bouvier lächelte. Wenn Jean-François früher als geplant auftauchte, hatte er immer irgendeine Überraschung im Gepäck. Der Gedanke daran stimmte Bouvier heiter und euphorisch. Nach dem Essen und vor der gewohnten nachmittäglichen Siesta würde er in den Weinkeller gehen und einige Flaschen Château Lafitte Jahrgang fünfundachtzig holen, um sie rechtzeitig zu dekantieren. Gewisse Dinge waren eben teuer und exklusiv. Und ein guter Rotwein gehörte dazu.
Nachdem Jean-François Kahn eine Nachricht auf Louis Bouviers Anrufbeantworter hinterlassen hatte, griff er erneut nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer der Klinik. Heute war normalerweise der Tag, an dem er seine Frau Mireille besuchte. Jeden zweiten Mittwoch im Monat, eine feste Gewohnheit. An diesem Mittwoch, dem dreizehnten August, würde der Termin jedoch entfallen. Zum einen weil es bei dieser Hitze als Zumutung erschien, sich in den Wagen zu setzen und fünfunddreißig Kilometer über Land zu fahren. Auch wenn sein roter Peugeot 407 natürlich über eine Klimaanlage verfügte. Zum anderen war am Morgen per Kurier ein Paket geliefert worden. Er war begierig, die Ware in Augenschein zu nehmen. Exklusive Kostbarkeiten, für die er ein Vermögen bezahlt hatte. Deshalb konnte er es auch kaum erwarten, sie seinem Freund Louis Bouvier zu zeigen, dessen Urteil als Kenner er besonders schätzte.
»Psychiatrische Klinik St. Anselme«, meldete sich eine mürrische Stimme. Sie gehörte Lucien, einem vierschrötigen Pfleger, den Jean-François schon seit Jahren kannte.
»Hier Jean-François Kahn«, erwiderte er.
»Ah, Herr Staatssekretär!« Die Stimme wurde sofort eine Spur höflicher, beinahe devot. Jean-François war zwar seit Jahren pensioniert, und die Anrede »Staatssekretär« gehörte der Vergangenheit an. Doch er korrigierte den Pfleger nicht.
»Heute kann ich leider nicht kommen, Lucien. Sagen Sie meiner Frau Bescheid?«
»Selbstverständlich, Herr Staatssekretär.«
»Wie geht es ihr denn?«
»Unverändert, Monsieur. Sie hat immer wieder lichte Momente, wenn ich das mal so nennen darf. Soll ich Sie mit Dr. Chandon verbinden?«
»Nicht notwendig, Lucien. Wie schlagen die Medikamente an?«
»Sehr gut, meint der Doktor. Ihre Frau ist die meiste Zeit sehr ruhig. Sie spricht jetzt wieder manchmal von Ihnen. Allerdings genauso ungereimtes Zeug wie früher.« Lucien lachte. »Aber dass Sie heute kommen wollten, das weiß sie!«
»Ich hoffe, sie ist nicht allzu enttäuscht.« Jean-François Kahn fingerte eine Zigarette aus der Packung und ließ das goldene Feuerzeug aufschnappen, das seine Frau ihm einmal geschenkt hatte.
»Ich sage ihr, dass Sie heute verhindert sind, Herr Staatssekretär.«
»Danke Lucien. Dann bis nächsten Monat«, sagte Jean-François Kahn und legte den Hörer auf.
Er zog den Rauch in die Lunge und betrachtete einen Moment das Feuerzeug, auf dem seine Initialen eingraviert
waren. JFK … Damals, als es auf seinem Geburtstagstisch lag, hatte er über die feine Anspielung auf den berühmten Politiker geschmunzelt und mit Mireille herumgerätselt, ob John F. Kennedy überhaupt geraucht hatte? Sie hatten beide keine Ahnung.
Wie lange war das her? Es musste sein vierzigster Geburtstag gewesen sein. Alles schien so weit weg, fast als wäre es nie gewesen. Seine Ehe, die er vor dreißig Jahren geschlossen hatte, die Geburt seines Sohnes Georges, der schon vor Jahren den Kontakt zu ihm abgebrochen hatte und im fernen Australien lebte. Und Mireille … seit fünfzehn Jahren befand sie sich in der Klinik St. Anselme. Schizophrenie, hatten die Ärzte seinerzeit diagnostiziert. Begonnen hatte es mit
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