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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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auszuschließen. Kürzlich hatten sie einen Kopf in einer Plastiktüte gefunden, die in Bangkok am Seil von einer Brücke hing, und wollten auch hier einen Selbstmord nicht ausschließen. Damit die öffentlichkeitsgeilen Polizeichefs der Presse etwas zu erzählen hatten. Damit sie wichtiger klangen. Statt zuzugeben: »Wir haben keinen Schimmer«, ging der zuständige Abteilungsleiter die Liste offensichtlicher Möglichkeiten durch, selbst wenn er gar nicht am Tatort gewesen war. Solange du seinen Namen richtig buchstabiertest, unterhielt er sich den ganzen Tag mit dir. Vielleicht merkt man mir an, dass ich unseren Herren in Kaki gegenüber eher düstere Gefühle hege.
    Aber es hatte auch was Positives: Ich war wieder da. Na gut, mein Name wurde nicht genannt, weil die thailändischen Tageszeitungen kein Verständnis für die Eitelkeiten ihrer Reporter haben, doch die Nachricht würde sich verbreiten, dass ich von den Toten auferstanden war. Ich mochte am Arsch der Welt wohnen, aber ich hatte immer noch ein Näschen für eine gute Geschichte. Nach neun Monaten Berichterstattung über Auffahrunfälle und Kokosnuss-Statistiken war ich geradezu begeistert, als ich hörte, dass man diese Leichen gefunden hatte. Bitte lass sie Mordopfer sein!, betete ich. Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich bin nicht blutrünstig. Ich brauchte nur eine Bestätigung, dass sich der Mensch anderen Menschen gegenüber nach wie vor unmenschlich verhielt. Mittlerweile waren mir direkt Zweifel gekommen.
    Ich hatte in einer unserer Grasdachhütten mit Blick auf die Bucht gesessen und Makrelen ausgenommen, als ich die Nachricht von Old Mels Bulli hörte. Sofern wir nicht ein paar Zackenbarsche oder leckere Sardellen reinbekommen, stellt das Ausnehmen einer Makrele in unserem Dorf am Ende aller Straßen für gewöhnlich den Höhepunkt der Woche dar. Kow, der Tintenfischkapitän, kam auf seiner Honda Dream mit Fischfrikadellen vorbei. Er ist unser ortseigener Paul Revere. Man braucht kein Handy und kein Internet, wenn man jemanden wie Käpt’n Kow in der Nähe hat. Ich habe keine Ahnung, woher er das alles weiß, aber ich schätze mal, bei den meisten Nachrichten dürfte er der BBC wohl eine gute Stunde voraus sein.
    »Schon gehört?«, rief er.
    Natürlich hatte ich es nicht gehört. Ich höre nie irgendwas.
    »In Mels Hinterhof haben sie ein Auto mit zwei Leichen gefunden.« Er lächelte. Er hat eine Art Briefschlitz, wo seine Vorderzähne sein sollten. Schon deshalb möchte man gern an ihm zweifeln, aber er hat ausnahmslos recht. Sein südlicher Akzent ist so ausgeprägt, dass ich ein paar Sekunden brauchte, bis ich seine Worte entschlüsselt hatte.
    »Wer ist Old Mel?«, fragte ich.
    »Hat zwanzig Hektar draußen an der Straße von Bang Ka, kurz vor Bang Ga.«
    Ich war freudig erregt. Es war der erste Ausdruck von Begeisterung, den ich in diesem Jahr verspürte. Ich musste da hin! Mein kleiner Bruder Arnon, scherzhaft Arny genannt, war irgendwo mit dem Pick-up unterwegs, und Opa Jah hatte das Moped. Mir blieb nur Mairs klappriges Fahrrad mit dem Korb vorn am Lenker. Ich rief meiner Mutter zu, dass ich es mir nehmen wollte, und hörte ein leises: »Vergiss nur nicht zu tanken« von drinnen aus unserem Laden. Schon klar, Mair.
    Abgesehen von der Brücke über den Fluss Lang Suan sind die Straßen hier in der Gegend meist flach und führen durch Palmenwälder und Kokosnussplantagen. Ganz hübsch, wenn man Grün mag – ich nicht. Hier und da ragen Kalksteinklippen auf, was irgendwie ungepflegt aussieht, aber Hügel gibt es eigentlich keine. Old Mels Haus lag etwa zehn Kilometer entfernt, und Sport war nicht gerade eine meiner Stärken. Aber man weiß ja, wie es ist, wenn man erst mal Blut geleckt hat. Meine kurzen Beine strampelten auf die Pedale ein, Adrenalin durchströmte meine Adern, und urplötzlich – mit überschäumender Klarheit – fielen mir meine glorreichsten Augenblicke ein. Die wunderbaren Verbrechen, über die ich berichtet hatte, die zahllosen Leichen, über die ich gestiegen war, immer vorsichtig, um nicht ins Blut zu treten, die kastrierten Ehemänner, die aufgebrochenen Geldautomaten, die Junkies, die lesbischen Hochhaus-Selbstmörderinnen, die mörderischen Moped-Gangs, die Schmuggler mit ihren Lastwagen, die mysteriös verstümmelten Tramper, die Unfälle bei Schulbusrennen, die schmierigen Pseudowahrsager, Gangster, die ich überführt hatte – wenn auch anonym –, die Morde durch Erstechen, Ersticken, Erdrosseln …

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