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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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sicheren Seite bleiben, fünfundzwanzig Dienstjahre ableisten und sich dann nach etwas anderem umsehen. Für Cook und die anderen Querdenker, Cowboys und diversen lebenden
    Legenden der Truppe hatte er nicht viel übrig. Romantische Verklärung konnte die Arbeit nicht zu etwas machen, das sie nicht war. Polizist sein war ein Job, keine Berufung. Holiday dagegen lebte einen Traum, stand unentwegt unter Strom und phantasierte von Ruhm und Ehre.
    Holiday hatte als Fußstreife im H-Street-Korridor in Northeast angefangen, ein Weißer allein in einem schwarzen Stadtteil. Er hatte sich ganz gut geschlagen und sich sogar bereits einen Ruf erarbeitet. Holiday kannte Leute schon nach der ersten Begegnung beim Namen; er machte sowohl jungen Frauen als auch Großmüttern Komplimente, konnte sich mit den Männern, die auf ihren Veranden oder vor den Spirituosenläden herumlungerten, über Highschool-Turniere, die Redskins und die Bulls unterhalten und sogar mit den Kids herumalbern, von denen er wusste, dass sie auf der schiefen Bahn waren. Die Bürger, kriminelle wie rechtschaffene, spürten, dass Holiday eine Witzfigur war und im Grunde nichts taugte, aber sie mochten ihn trotzdem. Mit seiner Begeisterung und seinem Talent würde er es im Metropolitan Police Department wahrscheinlich weiter bringen als Ramone. Sofern ihm nicht vorher das Kerlchen mit der Ofengabel, das Holiday ständig auf der Schulter hockte, zum Verhängnis wurde.
    Ramone und Holiday waren zwar gemeinsam auf die Polizeiakademie gegangen, aber nicht befreundet. Sie waren nicht einmal Partner. Sie teilten sich ein Fahrzeug, weil auf dem Parkplatz hinter der Dienststelle des 6th District nicht mehr genügend Streifenwagen gestanden hatten. Von ihrer Vier-bis-zwölf-Schicht waren erst sechs Stunden um, und Ramone konnte Holidays
    Stimme schon nicht mehr hören. Andere Cops freuten sich über Gesellschaft und Verstärkung, auch wenn der betreffende Kollege nicht gerade eine Leuchte war. Ramone blieb lieber allein.
    »Hab ich dir eigentlich schon von dem Mädchen erzählt, das ich aufgerissen habe?«, fragte Holiday.
    »Ja«, erwiderte Ramone – kein Ja mit Fragezeichen, sondern eines mit Punkt dahinter, das ausdrücken sollte: Ende der Diskussion.
    »Sie ist bei den Redskinettes«, sagte Holiday. »Diese Cheerleader da im RFK Stadium.«
    »Ich weiß, wer die Redskinettes sind.«
    »Hab ich dir von ihr erzählt?«
    »Ich glaube schon.«
    »Du müsstest mal ihren Hintern sehen, Giuseppe.«
    Der einzige Mensch, der Ramone mit seinem vollen Vornamen anredete, war seine Mutter, wenn sie wütend oder sentimental war. Jedenfalls bis Holiday einmal Ramones Führerschein gesehen hatte. Manchmal nannte Holiday seinen Kollegen auch »den Ramone«, seit er einen Blick auf dessen Plattensammlung geworfen hatte. Das war das einzige Mal gewesen, dass Ramone ihn in seine Wohnung gelassen hatte – ein Fehler, wie sich inzwischen herausgestellt hatte.
    »Und dann ihre Möpse«, fügte Holiday hinzu und krümmte die Finger in der entsprechenden Höhe zu Gichtklauen. »Sie hat so große rosa, wie heißt das noch, Warzenhöfe.«
    Holiday drehte sich um, dabei streifte der Schein der Signalleuchten von den Polizeifahrzeugen am Rand des Schauplatzes sein Gesicht. Er entblößte grinsend seine gleichmäßigen weißen Zähne, und das Blinklicht spiegelte sich in seinen eisblauen Augen. Auf dem Namensschild an seiner Brust stand »D. Holiday«, das hatte ihm unter den Kollegen selbstverständlich sofort den Spitznamen »Doc« eingetragen. Zufällig war er auch so hager und knochig wie der tuberkulöse Revolverheld. Ein paar ältere Kollegen fanden, er sehe aus wie Dan Duryea in jungen Jahren.
    »Du hast mir von ihr erzählt«, sagte Ramone zum dritten Mal.
    »Okay, aber hör dir das an. Letzte Woche geh ich mit ihr in eine Bar – das Constable, unten an der 8th…«
    »Ich kenne das Lokal.« Ramone war oft im Constable gewesen, bevor er Cop geworden war-in jenem Jahr, als er sich selbst als »zwischen allem« definierte. Man konnte dort beim Barkeeper Koks bekommen, im Hinterzimmer Konzerte hören, Tiny Desk Unit oder Insect Surfers oder wer gerade spielte, oder draußen im Biergarten unter den Sternen sitzen, trinken, Zigaretten rauchen und sich mit den Mädchen unterhalten, die damals alle dicke Wimperntusche und Netzstrumpfhosen trugen. Das war nach seinem vierten und letzten Semester an der Maryland gewesen, nachdem er das Kriminologieseminar belegt und sich gedacht hatte, ich

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