Der Traum der Hebamme / Roman
wohlbehalten aus dem Heiligen Land heimkehrten, kam die Sorge, ob es Krieg geben würde. Einen Bruderkrieg, den ein machtgieriger Herrscher vom Zaun brach, dessen Blutdurst sie beide schon grausam zu spüren bekommen hatten.
Doch Lukas kannte seine Frau gut genug, um nicht nur nach Boten Ausschau zu halten. Wenn Marthe die halbe Nacht lang gegrübelt hatte, dann höchstwahrscheinlich deshalb, weil eine Eingebung, ein Traum oder eine innere Stimme ihr gesagt hatten, dass die Dinge nun in Bewegung gerieten. Wären nicht seine Verpflichtungen am Hofe des Landgrafen von Thüringen, der sie nach ihrer Flucht aus Meißen in Dienst genommen hatte, würden sie beide längst in Weißenfels sein und dort irgendetwas unternehmen, statt hier vielleicht wertvolle Zeit zu vergeuden.
Marthe antwortete nicht, sondern flocht ein grünes Band in das Ende des Zopfes und griff nach dem Schleier, den sie als verheiratete Frau zu tragen hatte. Sie legte das fein gewebte Leinen über das Haar, setzte ein Schapel auf und versuchte, in dem kupfernen Spiegel herauszufinden, ob es richtig saß. Als Frau eines Ritters hatte sie Anspruch auf eine Magd, aber sie hatte das Mädchen sofort nach Lukas’ Frage hinausgeschickt. Das hier konnten sie nicht vor Zeugen bereden.
Sie brauchte noch einen Augenblick Zeit, bevor sie antwortete.
Ja, sie war die halbe Nacht lang wach gewesen, hatte gegrübelt und tief in ihr Innerstes gelauscht. Doch Lukas besaß weit mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten als sie selbst.
Seit sie – dreizehnjährig und mit nichts mehr, als was sie am Leibe trug – aus ihrem alten Dorf in Franken fliehen musste und sich dem Siedlerzug in die Mark Meißen anschloss, hatte es häufig Momente gegeben, in denen sie die Zukunft oder wenigstens ein Stück davon wie einen schnurgeraden Pfad vor sich sah. Aber immer noch sträubte sich etwas in ihr, solche Ahnungen leichtfertig für bare Münze zu nehmen. Wer wusste schon, woher sie kamen? Ob sie sich nicht irrte?
»Ich wünschte, ich könnte mir sicher sein«, sagte sie leise und blickte in Lukas’ blaue Augen. »Ist es nicht vermessen zu glauben, Gottes Plan erkennen oder gar durchschauen zu können? Mehr zu wissen als die anderen?«
Ganz zu schweigen davon, welche Gefahr es mit sich brachte, dieses Wissen – oder diese Ahnung – öffentlich preiszugeben. Als Heilkundige und Wehmutter zog sie ohnehin viel zu viel Misstrauen auf sich, auch wenn sie nun die Frau eines Ritters war. Es war gefährlich für eine Frau, in irgendeiner Weise aufzufallen.
Lukas zog mit leichtem Spott die Augenbrauen hoch. »Wie oft hattest du recht mit deinen Vorahnungen? Soweit ich mich erinnere, fast immer, nicht wahr?«
Nicht immer, dachte Marthe beklommen. Nicht damals vor zwei Jahren, als du dein Leben gewagt hast, um Freiberg einen Krieg zu ersparen. Ich sah schon das Bild vor Augen, wie jemand deinen abgeschlagenen Kopf als Beute trägt, auch wenn ich es dir nie erzählt habe. Doch es war wohl die Angst um dich, die dieses Schreckensbild hervorrief. Du hast überlebt, dem Allmächtigen und der Jungfrau Maria sei dafür gedankt. Ich hätte es nicht ertragen, noch einen Mann zu verlieren.
»Ja, wir sollten nach Weißenfels reiten, heute noch«, sagte sie schließlich. Und dann, nach einem tiefen Atemzug, viel entschlossener: »Du musst alles daransetzen, vom Landgrafen die Erlaubnis zu erhalten!«
»Und ich kann dir wohl nicht ausreden, mit mir zu kommen?«, erkundigte sich Lukas. »Gut möglich, ich reite geradewegs in einen Krieg oder zu einer Belagerung. Mir wäre wohler, du bliebst hier.«
»Es gibt keinen sicheren Ort für uns beide, das weißt du«, entgegnete sie. Sie griff nach seiner Rechten und presste sie an ihre Wange. »Ich fühle mich wohler, wenn du in meiner Nähe bist.«
Statt sie zu necken, genau dies seien die Worte, die ein Ritter von seiner Herzensdame zu hören wünsche, trat Lukas einen Schritt näher und schloss Marthe in seine Arme. Nur für einen kurzen Moment; das lärmende Treiben auf dem Hof kündete davon, dass die meisten Burgbewohner schon auf den Beinen waren.
Bedauernd löste er sich wieder von ihr, auch wenn er sie am liebsten noch einmal ins Bett gezogen hätte. »Komm, wir dürfen die Frühmesse nicht versäumen.«
Mit einem Anflug seiner üblichen Spottlust entfuhr ihm: »Wir brauchen wirklich Gottes Beistand und den sämtlicher Heiligen, um den Landgrafen noch umzustimmen.«
Kaum waren die Worte ausgesprochen, hätte er sie am liebsten wieder
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