Der Traum der Hebamme / Roman
Schönheiten des Lebens entbehren müssen«, meinte sie, erneut lächelnd. »Doch das müsst Ihr jetzt nicht mehr.«
Sie streckte ihre Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. Er packte sie am Gelenk und drückte die Hand nach unten.
»Ihr wisst nicht, wovon Ihr sprecht. Und Ihr habt keine Ahnung, worauf Ihr Euch einlasst!«, sagte er grob.
Ihr plumpes Angebot widerte ihn an – er selbst widerte sich an. Weil er nämlich sehr wohl überlegte, wie es sein würde, nach all den Entbehrungen, nach all dem Sterben, das er in den letzten zwei Jahren erlebt hatte, eine Frau zu nehmen, ihre Brüste zu berühren, ihre Schenkel zu spreizen, mit aller Kraft in sie einzudringen.
Weil er sich schämte, auch nur diesen Gedanken zu haben, da doch sein Freund und all die anderen Gefährten, die im Heiligen Land gestorben waren, nie wieder eine Frau liebkosen konnten.
Und weil ihm diese Gans, die keine Ahnung hatte von den schlimmen Dingen, die er in der Ferne erlebt hatte, fremder vorkam als all die Sarazenen, von deren Sprache und Gebräuchen er kein Wort verstand.
Sie schrie leise auf, weil sein Griff sie schmerzte, überwand jedoch schnell ihren Schreck und verzog schmollend den Mund. »Dann zeigt mir doch, worauf ich mich mit Euch einlassen würde!«
Später hätte Thomas nicht genau sagen können, wie er dorthin gekommen war, aber zielstrebig führte ihn die junge Frau in eine kleine Kammer, und ehe er sich’s versah, hatte sie schon ihre Arme um seinen Hals geschlungen und küsste ihn.
Bereitwillig ließ sie sich auf das Bett sinken und zog ihn über sich. Er nahm sich nicht die Zeit, sie auszuziehen, sondern schob nur ihre Kleider nach oben. Hastig befreite er sein Glied aus der Bruche und stieß in sie hinein.
So lieblos hatte er noch nie eine Frau genommen. Statt Vergnügen oder Erleichterung fühlte er denselben Zorn wie tags zuvor, als er den Dieb enthauptet hatte.
Als er fertig war, verachtete er sich selbst dafür, was er gerade getan hatte.
»Versucht das nie wieder!«, fuhr er die Frau an, während er seine Bruche erneut mit dem Gürtel befestigte. Dann drehte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort.
Auf dem leeren Gang hielt er Ausschau nach einem Ort, wo er wenigstens eine Weile allein sein konnte. Er war viel zu aufgewühlt, um jetzt jemandem begegnen zu können. Schließlich verkroch er sich hinter einem Balken, legte den Kopf in den Nacken und versuchte, die Tränen zurückzudrängen – all die ungeweinten Tränen der Wut und der Trauer über seine toten Gefährten, über das Gefühl, verraten worden und im Stich gelassen zu sein von eitlen Königen, sein Entsetzen darüber, was seinen Eltern und seiner Schwester widerfahren war.
Er hatte seine Heimat und seine Freunde verloren – und nun auch noch die Selbstachtung, da er eben völlig die Beherrschung über sich verloren hatte.
Wehmütig dachte er an sein letztes Zusammensein mit einer Frau, vielleicht nur ein Traum im Fieberwahn … Ein schmales, zartes Gesicht, umrahmt von schwarzen Haaren, eine freundliche Stimme, die eine Sprache sprach, die er nicht verstand. Aber ihre Augen sagten ihm, was sie meinte: dass er ins Leben zurückkehren sollte. Sie war eine Heilerin, zweifellos, sie hatte den gleichen prüfenden, ins Innerste der Seele dringenden Blick wie seine Mutter und seine Schwester. Ihre zarten Berührungen hatten seine verborgensten Gefühle hervorbrechen lassen. Danach hatte er sich befreit gefühlt.
Doch jetzt fühlte er nur Scham.
Auf der Wartburg in Eisenach
D u lagst die halbe Nacht wach. Was ist los?«, fragte Lukas seine Frau, während er seinen Bliaut überstreifte. Sie durften sich nicht zur Frühmesse verspäten, doch diese Sache war ihm dringend. »Ist es so weit?«
Er ließ sie nicht aus den Augen und erforschte ihr Gesicht, während er mit tausendfach geübten Griffen seinen Gürtel anlegte und die Riemenzunge durch den Knoten zog, der das Ganze hielt. Dann fuhr er kurz mit den Fingern durch seine blonden Locken.
Marthe, zierlich und schmal, war bereits in ihr rostfarbenes, mit gewebten Borten verziertes Leinenkleid geschlüpft und flocht sich das kastanienbraune Haar. Doch nun hielt sie mitten in der Bewegung inne.
Sie lebten beide schon seit Wochen in diesem ungewissen Zustand des Wartens. Des Wartens darauf, dass eine Nachricht aus Weißenfels sie erreichte. Oder Nachricht über Weißenfels. Zu der Ungewissheit, ob Graf Dietrich, der in seiner Jugend ihr Schützling gewesen war, und ihr Sohn Thomas
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