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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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grundverschieden, doch sie verkörperten, wie Roger oft bemerkte, zwei irische Prototypen: den Heiligen und den Krieger. Er erinnerte sich an Unterhaltungen mit Patrick Pearse, der Altar und Waffen des Öfteren in einem Atemzug genannt und versichert hatte, die Verschmelzung dieser beiden Traditionen, jener der Märtyrer und Mystiker mit jener der Helden und Krieger, würde die spirituelle und physische Kraft erzeugen, mit der Éire seine Ketten sprengen würde.
    Sie waren grundverschieden, aber Monteith wie Crotty waren durch und durch unverdorben, großzügig und setzten sich bedingungslos für ihre Ideale ein. Häufig schämte sich Roger für seine Zweifel und Zerrissenheit, wenn er sah, dass Pater Crotty und Hauptmann Monteith keine Zeit mit Wankelmut und Verzagtheit verloren. Sie hatten sich auf einen Weg begeben und folgten ihm, ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren, ohne sich von irgendwelchen Widrigkeiten einschüchtern zu lassen, so überzeugt waren sie, dass am Ende der Sieg stehen würde: der Sieg Gottes über das Böse und der Irlands über seine Unterdrücker. Lerne von ihnen, Roger, werde wie sie, wiederholte er sich immer wieder stoßgebethaft.
    Robert Monteith stand Tom Clarke sehr nahe, dem er ebenfalls große Ehrerbietung entgegenbrachte. Er sprach von dessen Tabakladen – dem geheimen Hauptquartier – an der Ecke der Great Britain Street und der Sackville Street als einem »heiligen Ort«. Nach den Worten des Hauptmanns war es der aus so vielen englischen Gefängnissen entronnene alte Fuchs Clarke, der im Verborgenen die Revolutionsvorbereitungen dirigierte. War das nicht bewundernswert? Von seinem kleinen Laden in einer schäbigen Straße des Dubliner Stadtzentrums aus hatte dieser hagere kleine, von Alter und Entbehrungengezeichnete Veteran, der sein Leben dem Kampf für Irland gewidmet und dafür fünfzehn Jahre im Gefängnis gesessen hatte, eine militärisch-politische Untergrundorganisation aufgezogen, die Irish Revolutionary Brotherhood , die inzwischen im ganzen Land tätig war, und der britischen Polizei war es nicht gelungen, seiner habhaft zu werden. Roger fragte Monteith, ob die Organisation tatsächlich so gut strukturiert sei, wie man sagte. Mit maßloser Begeisterung antwortete der Hauptmann:
    »Wir verfügen über Kompanien, Staffeln und Truppen mit jeweiligem Offizierkorps, über Waffendepots, Kuriere, Kodes und Losungen. Ich bezweifle, dass es in Europa ein effizienteres, motivierteres Heer als das unsere gibt, Sir Roger. Und ich übertreibe kein bisschen.«
    Laut Monteith liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Es fehlten nur noch die deutschen Waffen, und die Erhebung könnte beginnen.
    Hauptmann Monteith machte sich sofort daran, die fünfzig Zossener Rekruten auszubilden und zu organisieren. Er begab sich auch oft ins Lager von Limburg, wo er versuchte, die dortigen Gefangenen von ihrem Widerstand gegen die Brigade abzubringen. Den einen oder anderen konnte er überzeugen, doch die große Mehrheit blieb feindselig. Monteith ließ sich davon nicht beirren. Seine Briefe an Roger, der sich erneut in München befand, waren überschwänglich und voller positiver Nachrichten über die winzige Brigade.
    Einige Wochen später trafen sie sich in Berlin wieder. Bei einem Abendessen in einem kleinen, von rumänischen Flüchtlingen besuchten Restaurant in Charlottenburg fasste Hauptmann Monteith sich ein Herz und sagte so behutsam wie möglich:
    »Sir Roger, auf die Gefahr hin, dass Sie es als eine aufdringliche Einmischung empfinden, aber Ihr Zustand ist besorgniserregend. Sie sind zu wichtig für Irland, für unsere Sache. Im Namen aller Ideale, für die Sie so viel getan haben, flehe ich Sie an, suchen Sie einen Arzt auf. Ihre Nerven sind überreizt.Das ist nicht verwunderlich bei all der Verantwortung und den Sorgen. Es musste so kommen. Sie brauchen jetzt Hilfe.«
    Roger stammelte eine Ausflucht und wechselte das Thema. Doch die Worte des Hauptmanns hatten ihn verstört. War seine Unausgeglichenheit so unübersehbar, dass dieser respektvolle und zurückhaltende Offizier sich genötigt sah, ihm dies zu sagen? Roger beherzigte Monteiths Worte. Nachdem er einige Erkundigungen eingeholt hatte, entschloss er sich, den in Grunewald praktizierenden Dr. Oppenheim aufzusuchen. Oppenheim war ein alter Arzt, der erfahren und seiner Sache sicher wirkte. In zwei langen Sitzungen redete Roger über seinen Zustand, seine Beschwerden, Ängste, seine Schlaflosigkeit. Er wurde Gedächtnisproben

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