Der Traum des Kelten
ich gestehe, Roger, dass solche Menschen mir eher Angst als Bewunderung einflößen, auch wenn sie es sind, die die Geschichte schreiben.«
Roger und Joseph besprachen während dieser Tage häufig das Szenario, die Erhebung könne ausbrechen, ohne dass Deutschland gleichzeitig England angreife oder zumindest die von der Royal Navy besetzten Häfen auf irischem Territorium unter Beschuss nehme. Plunkett war dafür, selbst in diesem Fall an den Aufstandsplänen festzuhalten, um die günstige Gelegenheit, die der Krieg in Europa bot, nicht verstreichen zu lassen. Roger hielt das für selbstmörderisch. So heroisch und verwegen die Revolutionäre auch wären, das Empire würde sie mit seiner Maschinerie zermalmen. Und die Gelegenheit nutzen, etliche Festnahmen vorzunehmen. Die Befreiung Irlands würde um mindestens weitere fünfzig Jahre hinausgezögert.
»Heißt das, im Falle einer Revolution ohne deutsche Intervention wären Sie nicht auf unserer Seite, Sir Roger?«
»Natürlich werde ich auf eurer Seite sein. Aber in dem Wissen, dass es ein nutzloses Opfer sein wird.«
Der junge Plunkett blickte ihn lange an, mit einer Spur Mitleid, wie es Roger vorkam.
»Erlauben Sie mir, ganz offen mit Ihnen zu sprechen, Sir Roger«, murmelte er endlich, ernst wie jemand, der sich im Besitz einer absoluten Wahrheit wähnt. »Ich glaube, Sie haben da etwas nicht verstanden. Es geht nicht darum, zu gewinnen. Natürlich werden wir diese Schlacht verlieren. Es geht darum, durchzuhalten. Widerstand zu leisten. Tage, Wochen. So zu sterben, dass unser Tod und unser Blut die Iren in ihrem Patriotismus bestärkt, bis er zu einer unbezwingbaren Kraft wird. Es geht darum, dass für jeden von uns, der stirbt, hundert neue Revolutionäre auftauchen. Wurde so nicht auch das Christentum stark?«
Roger wusste nicht, was er antworten sollte.
In den Wochen nach Plunketts Abreise hatte Roger alle Hände voll zu tun. Er bemühte sich weiter darum, dass Deutschland diejenigen irischen Gefangenen befreie, bei denen es aus gesundheitlichen Gründen, wegen ihres Alters, ihres Bildungsstandes, ihrer beruflichen Qualifizierung oder ihrer guten Führung in Betracht zu ziehen war. Diese Geste würde in Irland guten Eindruck machen. Die deutschen Behörden zeigten sich zunächst ablehnend, ließen sich dann aber überzeugen. Es wurden Listen erstellt, man diskutierte über einzelne Namen. Schließlich wurden an die hundert Lehrer, Studenten und Geschäftsleute lauteren Rufs freigelassen. Die tagelangen Diskussionen, all das Hin und Her hatten Roger die letzte Kraft geraubt. Doch da er befürchtete, die Volunteers könnten auf Pearse und Plunkett hören und eine bewaffnete Aktion initiieren, ehe Deutschland sich dazu entschlossen hatte, England anzugreifen, setzte er alles daran, Reichskanzlei und Heeresleitung zu einer Antwort bezüglich der fünfzigtausend Gewehre zu bewegen. Doch man blieb vage.Bis Graf Blicher bei einem Treffen im Auswärtigen Amt etwas sagte, das Roger beinahe vollends entmutigte:
»Sir Roger, Sie haben keine richtige Vorstellung von den Proportionen. Betrachten Sie einmal objektiv eine Landkarte und Sie werden sehen, wie wenig Irland in geopolitischer Hinsicht darstellt. So groß unsere Sympathien für Ihre Sache auch sind, andere Länder und Regionen sind im Hinblick auf die deutschen Interessen wesentlich relevanter.«
»Bedeutet das, wir können nicht mit den Waffen rechnen, Graf Blicher? Hat Deutschland den Plan einer Invasion verworfen?«
»Beides wird weiter erwogen. Wenn es nach mir ginge, würde ich eine Invasion in der nahen Zukunft ganz sicher ausschließen. Aber das werden die Fachleute entscheiden. In Kürze erhalten Sie eine verbindliche Antwort.«
Roger schrieb einen langen Brief an John Devoy und Joseph McGarrity, worin er erläuterte, weshab er gegen eine Erhebung ohne parallele deutsche Militäraktion war. Er beschwor sie, ihren Einfluss bei den Volunteers und der Irish Revolutionary Brotherhood geltend zu machen, um ein überstürztes, wahnwitziges Vorgehen zu verhindern. Gleichzeitig versicherte er ihnen, dass er nichts unversucht lasse, ihnen die Waffen zu beschaffen. Dessen ungeachtet schloss er mit dem dramatischen Bekenntnis: »Ich bin gescheitert. Hier kann ich nichts mehr ausrichten. Erlaubt mir, in die Vereinigten Staaten zurückzukehren.«
Sein Gesundheitszustand verschlimmerte sich erneut. Nichts konnte seine Arthritis lindern. Erkältungen mit hohem Fieber fesselten ihn ans Bett. Er war abgemagert
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