Madame Hemingway - Roman
Prolog
Schließlich musste ich einsehen, dass man von Paris nicht geheilt werden konnte, sooft ich auch nach einem Mittel suchte. Das hatte zum Teil mit dem Krieg zu tun. Die Welt war schon einmal untergegangen, und es konnte jederzeit wieder passieren. Der Krieg war über uns gekommen und hatte uns für immer verändert; er war ausgebrochen, obwohl es immer hieß, dass dies nicht passieren würde. Niemand konnte genau sagen, wie viele gestorben waren, und wenn wir die Zahlen hörten – neun Millionen oder vierzehn Millionen –, hielten wir sie nicht für möglich. Geister und Verwundete spukten durch Paris. Viele, die nach Rouen oder Oak Park, Illinois, zurückkehrten, waren angeschossen worden und trugen kleine Splitter in sich; sie waren erfüllt von einer Leere, die sie nie mehr loswurden. Um einige Körper auf Bahren fortzutragen, hatten sie über andere Körper steigen müssen; und sie hatten selbst auf Bahren gelegen, in langsam fahrenden Zügen voller Fliegen, in denen einer mit zitternder Stimme darum bat, dass man seinem Mädchen zu Hause von seinem Schicksal berichtete.
Doch dieses Zuhause gab es im Grunde nicht mehr, und auch das gehörte zum Wesen von Paris. Wir konnten nicht aufhören zu trinken, zu reden und die Falschen zu küssen, wie viel wir damit auch zerstören mochten. Manche von uns hatten dem Tod ins Gesicht geschaut und wollten sich an nichts mehr allzu genau erinnern. Ernest war einer von ihnen. Er sagte oftmals, er sei im Krieg gestorben, nur für einen Moment habe seine Seele seinen Körper verlassen, sei wie ein seidenes Tuch aus seiner Brust geglitten und habe frei über ihm geschwebt. Dann sei sie zurückgekehrt, ohne dass er sie gerufen hätte, undich fragte mich oft, ob er schrieb, um sicherzugehen, dass seine Seele wirklich noch da war, an ihrem alten Platz. Um sich und vielleicht auch anderen zu beweisen, dass er all das gesehen und diese schrecklichen Dinge empfunden hatte und dennoch weiterlebte. Dass er zwar gestorben, aber nun wieder am Leben war.
Mit zum Schönsten gehörte es, nach Paris zurückzukehren. 1923 waren wir für ein Jahr nach Toronto gezogen, wo unser Sohn Bumby zur Welt kam, und als wir zurück reisten, war alles wie zuvor, intensiver gar. Es war schmutzig und prachtvoll, voller Ratten und Rosskastanienblüten und Poesie. Wir hatten weniger Geld zur Verfügung als vorher, mit dem Baby aber doppelt so viele Ausgaben. Pound half uns bei der Wohnungssuche, und wir fanden ein paar Zimmer im zweiten Stock eines Putzbaus in einer engen, gewundenen Gasse nicht weit entfernt vom Jardin du Luxembourg. Es gab kein warmes Wasser, keine Badewanne, kein elektrisches Licht – aber wir hatten schon an weitaus schlimmeren Orten gelebt. Auf der anderen Seite des Hofes sirrte den ganzen Tag von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr abends eine Sägemühle, es roch stets nach frisch geschnittenem Holz, und durch die Fenster und Türen drang Sägemehl in unsere Wohnung, sammelte sich in unserer Kleidung und ließ uns andauernd husten. Innen hörte man beständig das knallende Geräusch von Ernests Corona aus dem kleinen, oberhalb gelegenen Zimmer. Er arbeitete an seinen Storys, denn er schrieb damals ständig an Storys und Skizzen, und auch an einem neuen Roman über die Fiesta in Pamplona, den er im Sommer begonnen hatte.
Ich las die Seiten damals nicht, doch ich vertraute ihm und dem alltäglichen Rhythmus. Jeden Morgen stand er früh auf, zog sich an und ging dann hoch in sein Zimmer, um mit dem Schreiben zu beginnen. Wenn es dort nicht funktionierte, packte er seine Notizbücher und ein paar gespitzte Bleistifteein und ging auf einen Café Crème an seinem Lieblingsmarmortisch in die Closerie de Lilas, während Bumby und ich allein frühstückten und uns danach für einen Spaziergang zurechtmachten oder Freunde besuchen gingen. Am späten Nachmittag kehrten wir nach Hause zurück, und wenn es an diesem Tag gut gelaufen war, saß Ernest mit zufriedenem Gesichtsausdruck und einem guten kalten Sauternes oder einem Brandy mit Wasser am Esstisch und war in bester Gesprächslaune. Manchmal gingen wir auch gemeinsam aus und ließen Bumby bei unserer Hauswirtin Madame Chautard, um uns zu einem Teller fetter Austern und regen Gesprächen ins Select, ins Dôme oder ins Deux Magots zu begeben.
Damals traf man überall auf interessante Menschen. Die Cafés in Montparnasse atmeten sie ein und wieder aus: französische Maler, russische Tänzerinnen und amerikanische Schriftsteller. Wenn man
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