Goldstück: Roman (German Edition)
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Prolog
G enau einen Monat ist es jetzt her, dass mich mein Freund Gunnar von heute auf morgen verlassen hat. Mit den Worten »Bitte melde dich nicht mehr bei mir« marschierte er aus meiner Wohnung und ließ mich zurück in meiner Bettwäsche, die noch nach ihm roch, mit einer von ihm halb ausgetrunkenen Tasse Kaffee auf dem Küchentisch und einem E-Mail-Fach, vollgestopft mit herzerwärmenden Liebesbekundungen, die er mir im Verlauf unserer zweijährigen Beziehung geschrieben hatte.
Das alles traf mich in einem ohnehin schon sehr krisengebeutelten Zustand. Denn drei Wochen zuvor war ich zum zweiten Mal mit Pauken und Trompeten durch mein Erstes Juristisches Staatsexamen gefallen und musste nun der deprimierenden Tatsache ins Auge blicken, dass die vergangenen zehn Jahre Studium für nichts und wieder nichts waren und ich vermutlich den Rest meines Lebens in dem Sonnenstudio, in dem ich seit Urzeiten jobbte, versauern würde. Gunnar störte es nicht, dass es mir gerade so schlechtging. Er verließ mich trotzdem. Denn das eine hatte mit dem anderen ja nicht das Geringste zu tun. So sah er das.
Nach Gunnars plötzlichem Entschwinden setzte ich mich auf mein Bett und dachte nach. Darüber, warum er mich verlassen hatte. Als auch das nichts brachte, ging ich zu einer Psychiaterin und ließ mir ein paar Tranquilizer verschreiben. Zwar musste ich dann immer noch nachdenken, allerdings nicht mehr ganz so schnell wie vorher.
So saß ich also rum, in meinem Hamburger WG-Zimmer, und versuchte, für mich die Frage zu klären, wie aus »Ich liebe dich, und du bist meine Traumfrau« innerhalb weniger Tage ein »Bitte melde dich nicht mehr bei mir« hatte werden können. Sicher, wir hatten uns hin und wieder gestritten. Nichts Dramatisches. Je
denfalls nichts so Dramatisches, dass man dafür eine Beziehung hätte beenden müssen. Der übliche Quatsch eben, mal war er verspätet, mal fühlte er sich eingeengt oder bevormundet, mal bekam ich schlicht und ergreifend meine Tage. Und klar, seit meiner fulminanten Pleite im Staatsexamen war ich natürlich hin und wieder auch etwas empfindlicher und ungerechter als sonst – aber jeder, der über die Sensibilität eines Teebeutels verfügt, müsste für so etwas doch Verständnis haben. Oder? Oder nicht?
Wie dem auch sei, eine Antwort auf die Frage, warum er gegangen war, fand ich jedenfalls nicht, und so zog ich kurzfristig in Erwägung, mir mit weiteren bewusstseinserweiternden Drogen auf die Sprünge zu helfen. Von dieser Idee nahm ich nach reiflicher Überlegung aber wieder Abstand und beschloss stattdessen, den einzigen Menschen um eine Antwort zu bitten, der sie mir hätte geben können. Und so schrieb ich als erwachsene, fast dreißigjährige Frau eine SMS an Gunnar. Ein an sich vollkommen unwürdiger Akt, aber die Tranquilizer sorgten dafür, dass mir auch das nichts mehr ausmachte:
Liebster, ich kann Dich nicht vergessen und verstehe nicht, war-um wir keine Chance mehr haben. Ich liebe und vermisse Dich und hoffe, dass Du zu mir zurückkommst. Maike.
Seine Antwort erhielt ich innerhalb von dreißig Sekunden:
Maike, es geht nicht mehr, und es ist vorbei. Es tut mir leid.
Damit war ich dann in etwa so schlau wie zuvor, so dass ich noch einmal über die bewusstseinserweiternden Drogen nachdachte. Da ich mich aber in der Hamburger Szene bezüglich illegaler Rauschmittel furchtbar schlecht auskenne, hielt ich es dann doch für keine so gute Sache, irgendwo im Schanzenpark einem
Schwarzafrikaner aufzulauern, um am Ende vielleicht das unbescholtene Mitglied einer selbstreferentiellen Trommelgruppe anzufallen.
Was mir noch blieb, war der Rat meiner Cousine und Mitbewohnerin Kiki. Kiki arbeitet als Coach. Kiki weiß alles, Kiki kann alles – und vor allem verfügt Kiki über ein Lenormand-Kartenset, in das sie hineingucken kann, falls sie doch mal nicht alles weiß.
»Also«, teilte sie mir mit, als wir abends zusammen am Küchentisch saßen. Ich hatte die Karten gemischt, und Kiki hatte sie nach einem für mich unverständlichen System vor sich ausgebreitet. »Es sieht mir ganz danach aus, als sei alles möglich.«
»Was soll das bedeuten?«, wollte ich wissen. »Wird Gunnar zu mir zurückkehren oder nicht?«
Kiki zuckte mit den Achseln. Dann schnappte sie sich ein Blatt Papier und einen Stift und schrieb in großen Lettern darauf:
Wenn es sein soll, dann wird es auch wieder sein. Und wenn es nicht sein soll – dann bleibt halt alles so scheiße, wie es
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