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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Prolog
    Eine einzelne weiße Kerze beleuchtete die Speisen und Getränke auf dem Tisch: zwei Teller, zweimal Steak mit Soße, zweimal Trüffel, zwei edle Kristallgläser, in denen sich die kleine Flamme spiegelte. Der Wein darin, schwer und samtig, schimmerte wie schwarze Tinte.
    Nur einer der beiden am Tisch Sitzenden nippte daran. Als er sich vorbeugte, wurde für einen Moment sein zerfurchtes Gesicht beleuchtet. Sein überaus teurer maßgeschneiderter Anzug verschmolz mit der Dunkelheit, doch dafür zog der diamantenbesetzte Ring an seinem Finger– dem einzigen an der linken Hand, dem nicht entweder die Kuppe fehlte oder der bis auf den Knochen aufgeschlitzt war– die Aufmerksamkeit auf sich.
    » Dieser Wein ist einen Mord wert«, sagte er. » Es wäre schade, ihn verkommen zu lassen.«
    Wenn man ihn nicht ansah, hätte man glauben können, er sei schön. Seine Stimme war seidig und dunkel, leise. Ein Flüstern hinter dem Vorhang, wie ein Souffleur, der den Akteuren ihren Text vorsagt. Er wusste alles, immer. Wie ein Puppenspieler zog er an den Fäden, wie bei einem Magier genügten eine Handbewegung und ein Wort, und Dinge geschahen… Dinge, die es gar nicht geben durfte.
    Aber alles wusste er auch nicht, sonst hätte es dieses Treffen nicht gegeben. Das verlieh dem Gespräch der beiden ein gewisses Gleichgewicht. Wie Gold in zwei Waagschalen– Wissen und Macht, zwei Schätze. Die Macht war wie ein scharfes Schwert, unerbittlich und tödlich, und dagegen stand bloß ein goldener Traum. Wenn man alles einsetzte, konnte man alles verspielen oder alles gewinnen.
    » Lebt Mattim?«, verlangte Kunun zu erfahren.
    Manchmal musste man den dunklen Weg gehen, den Weg des Verrats. Irgendjemand musste es tun. Nur wenn das Samenkorn in die Erde gelegt wurde und starb, konnte es keimen und ins Licht wachsen.
    » Ist das denn wichtig? Was kümmert es den mächtigen König der Schatten, ob sein kleiner Bruder lebt, der längst keine Gefahr mehr für ihn ist?«
    Unter dem Tisch atmete ein Tier. Weil es so still war, konnte man das Rascheln des Fells hören, während der Leib an einem der Stühle vorbeistrich.
    » Ich frage nicht nach meinem Bruder, weil ich befürchte, dass er in irgendeiner dunklen Ecke finstere Pläne ausheckt. Er ist geschlagen, das wissen wir beide. Endgültig. Es gibt überhaupt nichts, was er noch tun könnte. Also besteht auch kein Grund, ihn zu schützen oder ihm zu helfen.«
    Die geschundene Hand des Vampirs fing den Blick seines Gegenübers ein. Der Ring war aus Gold, breit und schwer, für eine kräftige Männerhand geschaffen, und die funkelnden Diamanten wurden von einem Rubin in den Schatten gestellt, einem Rubin, so groß wie ein Blutstropfen.
    » Helfen? Wobei könnte man denn jemandem helfen, der vermutlich sowieso längst tot ist?«
    » Mich zu vernichten beispielsweise? Und was seinen Tod angeht… ich habe allen Grund, daran zu zweifeln. Sterben ist nicht mehr, was es einmal war, wie ich allzu gut weiß. Welcher Tod ist schon endgültig? Totgesagte leben länger, wie es so schön heißt.« Kunun beugte sich vor und legte seine kühle, leblose Hand auf die seines Gegenübers. Etwas kratzte. Vielleicht ein Knochensplitter? Besser nicht darüber nachdenken.
    » Die Unsterblichkeit«, erklärte Kunun geduldig, » hat gewisse Nachteile. Einer davon ist die Langeweile. Es gibt noch genug, was ich genießen kann– einen Wein wie diesen beispielsweise. Ich bin ein Genussmensch. Ich bin, wenn man so will, dazu erzogen worden, gute Dinge zu schätzen.« Er lachte leise. » Meine Sinne sind ausgeprägter als je zuvor, verfeinert durch langjährige Übung.«
    Das entstellte Gesicht bewegte sich vorwärts, in den Lichtstrahl der kleinen Kerze.
    Kunun spießte einen Bissen auf seine Gabel. » Es ist vorzüglich«, versicherte er, » ganz vorzüglich. Wild aus meinen Wäldern. Ich habe begnadete Jäger in meinem Gefolge, und ich bin wohl nicht über Gebühr unbescheiden, wenn ich zu behaupten wage, dass ich der beste von ihnen bin.«
    » Wild? Was für ein Wild? Was lebt noch, dort, wo der Tod herrscht?«
    Kunun lachte wieder. » Auch in der Finsternis gedeihen Tiere und Pflanzen. Was in meinen wilden Gärten wuchert, verlangt nicht nach Sonne. Und die Geschöpfe, die zwischen Dornen und Schattengewächsen umherschleichen, haben das Licht schon immer gescheut. Woran sie guttun– jedenfalls im Interesse zarter Gemüter. Albträume wohnen im Dschungel, den die Sonne meidet. Beantwortet das die

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