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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Frage?«
    » Ja«, flüsterte die andere Person.
    » Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, beim Genuss. Ein Schatten verliert nichts– nicht die Fähigkeit zu schmecken oder zu riechen noch jene zu fühlen. Alles ist, wenn man so will, vielmehr übersteigert. Wir Schatten sind sehr empfindlich. Das erhöht in gewisser Weise die Ansprüche. Wenn man alles hat, was man immer wollte– ist man dann glücklich?«
    » Darum geht es also? Um Glück?«
    » Natürlich. Darum geht es doch immer. Um Glück und um … Familie.« Er lächelte weiß durch den dünnen Rauch der Flamme. » Für einen Schatten ändert sich alles. Wie könnte einem Unsterblichen dasselbe wichtig sein wie einem normalen, sterblichen Menschen? Wie kann jemand, für den Licht eine tödliche Gefahr ist, hoffen, dass die Sonne aufgeht? Wenn man erst das Entsetzen über die neue Existenz überwunden hat, stellt man rasch fest, dass sich die Prioritäten verschieben. Die Familie dagegen – die bleibt einem. Schließlich ist auch das eine Frage des Blutes. Alles, was man besitzt, erwirbt man nicht nur für sich selbst, sondern stets auch für die anderen. Die Familie ist womöglich das Wichtigste überhaupt. Was nützt einem der ganze Reichtum, die ganze Welt … wenn man ihn nicht teilen kann?«
    Dass dieses wahnsinnige, grausame Wesen solche rührenden Worte von sich gab, war kaum zu glauben.
    Wissen ist Macht. Darum bist du hier. Er hält sich für mächtig; alles kann gut werden, solange das so bleibt. Und wenn … Aber nein, dieses Wenn war zu gefährlich. Jedes Wenn kostete ein bisschen Mut, Mut, den man dringend brauchte, wenn man einem Wesen gegenübersaß, das wie eins der wilden Albtraumtiere war, die im Dunkeln hätten bleiben sollen.
    » Ist das etwa irgendwie lustig?«, erkundigte Kunun sich. Er klang leicht verletzt. Da war ein leises Knistern in seiner Stimme, als wohnte in seiner Kehle eine Schlange, deren Schuppen aneinanderrieben, während sie sich entrollte.
    » Nein, ich… ich bin bloß überrascht. Woher dieser plötzliche Sinneswandel?«
    » Warum sollte ich Mattims Tod wollen, wo ich doch dem Prinzen des Lichts– dem letzten, dem besten, dem strahlendsten von allen– meinen Sieg verdanke? Den Thron, die Burg, die Stadt, ganz Magyria? Das ist das eine. Und das andere… Ich habe in einem Buch geblättert, in dem viele erstaunliche Weisheiten stehen. Zum Beispiel Psalm dreiundzwanzig: › Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.‹«
    Sein Gast wartete. Als der Schattenkönig hartnäckig schwieg, gab er vorsichtig zu: » Ich begreife nicht ganz.«
    » Das ist Gnade«, sagte Kunun, » wahre Gnade. Das ist der Himmel. Nicht der gedeckte Tisch, nicht, dass man bekommt, was man begehrt, sondern die Feinde, vor deren Augen es geschieht.«
    » Oh.«
    » Der Sieg bedeutet nichts. Nicht das Geringste, wenn keine Feinde mehr übrig sind, die ihn zu würdigen wissen. Ich glaube, in meinem Fall gibt es da noch ein paar, die das durchaus können. Deshalb macht mich dieser Glaube so froh… dass mein Bruder irgendwo da draußen ist und mit schwerem Herzen zusieht, wie ich feiere. Ist das nicht ein guter Grund, um ihm das Leben zu wünschen? Ich habe nicht vor, ihm etwas anzutun. Ich möchte ihn nur vor mir auf den Knien wissen.« Diesmal war da keine Heiterkeit, auch nicht in seiner Stimme, als er schroff fragte: » Lebt er?«
    » Ja, er lebt.«
    » Und?«
    Nur ein Flüstern. » Ich weiß, wo er ist.«
    » Ah.« Er trank noch einen Schluck Wein, schwarz wie Tinte, dickflüssig wie Blut.
    Der Wolf unter dem Tisch gab ein leises, verzweifeltes Wimmern von sich. » Still!«, befahl Kunun. » Wir kommen der Sache näher. Was ich anzubieten habe, ist mehr als großzügig, oder nicht?«
    Sein Gegenüber ließ sich Zeit mit einer Antwort und stocherte gemächlich in den Trüffeln herum. » Ja, ich glaube, das ist es«, sagte er schließlich mit angemessener Verzweiflung. » Mehr kann ich nicht verlangen. Aber nur unter der Bedingung, dass er am Leben bleibt.«
    » Darauf können wir uns einigen. Wie ich schon sagte, je mehr lebende Feinde, umso besser.« Kununs weiße Zähne glänzten in der Dämmerung auf. » Das schwöre ich– bei meinem Leben. Oh bitte, nicht lachen. Ich meine es ernst.«
    » Das… genügt. Es muss genügen.«
    Kunun hob sein Steak vom Teller und ließ es unter den Tisch fallen. Es vergingen ein paar Sekunden absoluter Stille.
    » Jetzt«, sagte Kunun. » Du darfst.«
    Gierig verschlang der Wolf das Fleisch. Er

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