Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
Prolog
Die Dunkelheit ist ein seltsames Ding: Was, so frage ich Euch, hat es mit ihr auf sich, daß sie uns wieder und wieder mit Furcht erfüllt, Nacht für Nacht, Leben für Leben? Ich kann Euch ehrlichst versichern, ich selbst habe mein Teil an durchwachten Nächten erlebt, an halsbrecherischen Fluchten im Finstern und an Morden, ausgeführt von den schwärzesten Seelen. Ich war dabei, als die Sonne vom Himmel verschwand, obgleich es noch mitten am Tage war, und ich kenne den Qualm brennender Städte, der sich über die Länder legt und mit seinem Schatten die Menschen frißt. Doch obgleich mir all diese Dunkelheiten wohl vertraut sind, so habe ich doch nie ihr Geheimnis durchschaut, und selbst mein Meister, der große Doktor Faustus, ist zuletzt daran gescheitert.
Ich sah die Horden des Suleiman durch die Schießscharten der Wiener Tore, und die Knie haben mir geschlottert vor Angst. Und doch spüre ich dieselbe Furcht, wenn das Licht verlöscht und die Geister der Toten an den Türen rütteln.
Jeder weiß, weshalb ihn das Säbelrasseln der Türken beeindruckt (seit jenem Tag im Jahre 1529 trage ich eine unschöne Narbe an der Kehle). Warum uns aber die Nacht mit ihrer Dunkelheit verängstigt, das weiß keiner ganz genau. Zumindest hat es mein Meister nicht gewußt, und Ihr wollt nicht behaupten, Ihr wüßtet mehr als er, nicht wahr? Gut, das will ich meinen.
Mein Meister, o ja, von ihm will ich berichten. Ihr müßt wissen, er ist nicht mehr unter uns. Der Teufel besuchte ihn des Nachts in seiner Kammer und schlug ihm den Leib in Stücke. Ich selbst war nicht dabei, das muß ich gestehen, doch der gute Doktor nahm es mir nicht übel: Er wußte wohl, daß ihm das letzte Stündlein schlug, und so schrieb er zuvor seinen Willen nieder und bedachte einen gewissen Christof Wagner mit all seinem teuren Besitz.
Und Christof Wagner, das bin ich.
Erlaubt mir einen Einschub: Ein lieber Freund von mir versucht sich gleichfalls an der Niederschrift von Faustens Leben. Er ist bald am Ende damit, doch wir wissen beide, daß er mehr mit Phantasie denn mit wahrem Wissen von den Dingen berichtet. Deshalb will ich versuchen, Euch die Wirklichkeit zu schildern, ganz so, wie ich sie am eigenen Leibe erfuhr. In einem allerdings ist mir mein Freund mit seiner Historia von D. Johann Fausten voraus: Er weiß genau, wie mein Meister verstarb, und er war dumm genug, mir davon zu erzählen (unter dem Siegel der Verschwiegenheit, versteht sich). Daher will ich, bevor ich aus Faustens Leben erzähle, zuerst von seinem Tode sprechen.
Mein Meister, der längst ahnte, daß sein Sterben nahte, hatte im Jahre 1540 im Dorfe Rimlich Quartier bezogen. Dies nun liegt eine halbe Meile Wegs vor Wittenberg (wo – welch Ironie des Schicksals – meine Geschichte ihren Anfang nimmt). Zwischen zwölf und ein Uhr nachts hob ein furchtbarer Wind an, der den Gasthof von allen Seiten umtobte, so daß selbst der Wirt seinen Besitz Besitz sein ließ und jammernd zu den Nachbarn floh. Zugleich drang aus der Kammer des Doktors ein grauenvolles Lärmen. (Mein Freund schreibt: »… als ob das Haus voller Schlangern, Nattern und anderer schädlicher Würmer wäre.« Nun, hier ist der gute Wille sicher mit ihm durchgegangen, denn in seinem schlichten Gemüt gehören Schlangen ebenso zum Satan wie Wein in die Schreibstube, wenn Ihr versteht, was ich meine…)
Man habe den Doktor in Todesangst schreien hören, so heißt es. Falls dem wirklich so war, es würde mir das Herz zerreißen – allerdings will ich auch dieses Detail bezweifeln. In all den Jahren an der Seite meines Meisters habe ich ihn niemals in Todesangst erlebt, erst recht nicht, daß sie ihn zum Schreien brachte (obwohl er vom Schreien was verstand – etwa, wenn ich den Schwefel verlegte).
Nun, ganz gleich, ob er schrie oder nicht, es wurde schließlich Tag, und Totenstille kehrte ein. Der Wirt trollte sich zurück in seinen Gasthof und pochte an des Meisters Tür. Als dieser keine Antwort gab, ließ der Wirt den Riegel zerbrechen. Drinnen bot sich ihm ein entsetzlicher Anblick. Boden, Wände und Decke waren voll von Blut, und das kluge Hirn des Meisters klebte wie eine zerquetschte Fliege an der Wand. Auch lagen seine Augen und etliche Zähne umher. Es heißt, der Teufel habe ihn von einer Wand zur anderen geschlagen, wie ein Waschweib den Teppich. Seine Leiche fand man schließlich draußen auf dem Misthaufen, übel zugerichtet, wie Ihr Euch denken mögt.
Ihr fragt Euch nun: Was ist das
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