Der Traumkicker - Roman
Schwippschwägerin, Schwiegermutter, Pate oder Patin Teil der Sippe.
»Oder hat zumindest mal dasselbe Mädchen gehabt!«, meinte Choche Maravilla süffisant.
Aber unser Ballkünstler sah uns noch immer an, als kämen wir von einem fremden Stern. Unerschütterlich saß er da mit seinem Araukaner-Stirnband, das er nie ablegte, wie ein in Kalkstein gehauener Indio.
Tatsächlich brauchte es diesen gesamten ersten Tag, um ihn zum Reden zu bringen. Der Mann war stummer als eine Muschel, wie man bei uns sagt. So wortkarg war er, dass der alte Tiroyo sich irgendwann zu Pata Pata hinüberlehnte und ihm ins Ohr zischte:
»Hat der seine Zunge verschluckt? Aus dem ist ja nichts rauszukriegen, der sollte nicht Traumkicker am Ball, sondern Transchweiger mit Knall heißen.«
Doch als nach etlichen Flaschen Wein (die wir zusammen mit dem Essen für die Gäste »bis Donnerstag, dann ohne Verzug, Señora Emilia, das wissen Sie doch«, anschreiben ließen) der Himmel über der Wüste bereits dunkelte, löste sich dem Kerl endlich ein wenig die Zunge.
Also, wir Guten, wir müssten schon entschuldigen, aber eigentlich seien sie nach Tocopilla unterwegs. Und hätten es auch ziemlich eilig. Deshalb könnten sie eher nicht eine ganze Woche bei uns bleiben. Und die Gute wolle auch so schnell wie möglich fort, weil, ihr werde in dieser Gluthitze hier so seltsam blümerant. Ebendeswegen seien sie auch aus dem Sattelschlepper gestiegen, der sie von Chañaral mitgenommen hatte. Weil sie die Hitze im Führerhaus irgendwann nicht mehr ertrug und in ihrer Verzweiflung in voller Fahrt abspringen wollte.Das alles genau dort, wo die Piste in unsere Siedlung abzweigt. Und es habe ihr sowieso schon den Rest gegeben, sagte er, dass ihnen in Copiapó der Rucksack mit allen ihren Kleidern gestohlen worden sei.
»Uns ist bloß geblieben, was wir am Leib tragen«, schloss er.
In diesem Augenblick pulte die Rothaarige, die schweigend zugehört hatte (oder nur der Musik aus den Lautsprechern zuhörte), das Kaugummi hinter ihrem Ohr hervor, wo sie es hingeklebt hatte, steckte es sich in den Mund, stand auf und verschwand ohne ein »Verzeihung« oder sonst einen Ton aufs Klo. Wir schätzten die Frau auf vielleicht fünfundzwanzig Jahre, und sie besaß ein eckiges, eigentlich ansprechendes Gesicht, hätte sie nicht so verschleiert, wie weggetreten, geschaut. Zwischen Wolken von Sommersprossen und fast verdeckt von ihrer krausen roten Mähne glommen ihre kleinen grünen Augen wie auf Sparflamme. »Wie zwei Niedervoltglühlämpchen«, veranschaulichte Don Celestino Rojas, der neben seinem Amt als Präsident unserer Sportvereinigung und Diakon der Gemeinde auch literarische Ambitionen besaß. Jedes Jahr zum Frühlingsfest nahm er am Wettbewerb um das schönste Gedicht auf die Frühlingskönigin teil; gewonnen hatte er dabei noch nie was. Als Bewunderer der Futuristen enthielten seine Metaphern und Vergleiche stets Bezüge zur Industrie, zu Maschinen und Fabriken. »Deshalb gewinnst du nicht«, hatte seine Frau beim letzten Dichterwettstreit zu ihm gesagt. »Außer dir würde kein Mensch die Königin mit der Diesellok Nummer 22 vergleichen.«
Ehe die Rothaarige wiederkam, hatte uns Expedito González erzählt, die Gute leide an Amnesie, sie könne sich nicht einmal an den eigenen Namen erinnern und besitze auch keine Papiere. Er habe sie vor ungefähr zwei Monaten in einem Dorf im Süden aufgelesen, habe sie abends zum Essen eingeladen und dann sei sie ihm nicht mehr von der Seite gewichen. Der einzige Anhaltspunkt, um ihre Identität herauszufinden, sei, dass sie im Schlaf ab und zu »Tocopilla« sage. Weshalb sie hofften, in der Hafenstadt Tocopilla den Schlüssel zu finden; womöglich sogar Angehörige von ihr aufzutreiben.
»Wir möchten nämlich heiraten«, sagte er. »Und das geht ohne Papiere nicht.«
Während der Traumkicker redete, lehnte sich der alte Tiroyo zu Don Agapito Sánchez hinüber und raunte ihm zu, wenn ihn nicht alles täusche, dann habe er das Vögelchen schon mal irgendwo gesehen.
Als schon fast Schlafenszeit war, gab der Traumkicker ein wenig nach. Er sagte, weil wir so gut zu ihnen gewesen seien, würden sie ein paar Tage bleiben. Noch könne er nicht sagen, ob bis Sonntag. Man werde sehen. Es komme drauf an, wie die Gute sich fühle.
»Aber vor allem«, sagte er, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und stieß wichtigtuerisch den Rauch seiner Zigarette aus. »Vor allem kommt es drauf an, wie die Leute das mit den Spenden
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