Der Traumkicker - Roman
großen Einlauf und allen phenylalaninen Hydrolasen!
II
Die Minenläden mit ihren verschiedenen Verkaufsständen waren nicht nur die wichtigsten (und zuweilen einzigen) Einkaufsmöglichkeiten in den Salpetersiedlungen, sondern neben dem Kino auch das Herz des gemeinschaftlichen Lebens. Und sie hatten Geschichte geschrieben, weil die kämpferische Bewegung für die Emanzipation der chilenischen Frau zu Beginn des Jahrhunderts hier in ersten Gesprächen und Versammlungen ihren Anfang nahm.
Daher wusste auch jedes Kind, dass man, um etwas von gesellschaftlichem, beruflichem oder auch persönlichem Belang zu erfahren (in wessen Haus Besuch angekommen war, welcher Arbeiter mit einer Beförderung zum Angestellten rechnen durfte, welches Mädchen im heiratsfähigen Alter in der Klemme steckte, weil seine Monatsblutung ausblieb, oder welcher Strolch die züchtige Gattin daheim besuchte, während man selbst auf Nachtschicht war), nur zu den Theken im Minenladen gehen und ein wenig die Ohren spitzen musste. Coya Sur war da keine Ausnahme.
Folgerichtig drehte sich an diesem Dienstagmorgen die Unterhaltung in unserem Minenladen fast ausschließlich um den »Künstler mit dem weißen Ball« und um die »holde Unschuld« in seiner Begleitung.
An den Kassen, vor den Theken, im Trubel der dichtgedrängten Schlangen für Brot, Fleisch und Gemüse lieferte sich die weibliche Kundschaft erregte Wortwechsel über diesen Ballzauberer, der wegen seiner krummen Beine und dem breitbeinigen Gang nicht nur an den krausköpfigen Garrincha erinnerte, sondern auch etwas von einem Deckhengst hatte, wovon einem ganz schwül werden konnte.
»Sag bloß, das ist dir nicht aufgefallen, Mädchen! Gute Güte, was für eine Mordsbeule der in der Fußballhose hat!«
Und sich auf die Zungen beißend, mutmaßten die gestandenen Hausfrauen, dieses Kindchen mit dem kupferfarbenen Haar, das ihn begleitete, habe sicher einiges auszuhalten bei einem derart reich Gesegneten. »Aber das macht ihr bestimmt nichts weiter aus, meine Liebe, schließlich sieht doch ein Blinder, dass die nicht ganz sauber ist.«
»Rote Haare, rotes Tuch, hat meine Großmutter immer gesagt.«
Ihr könne man nichts erzählen, ließ sich im allgemeinen Getümmel Pata Patas Frau vernehmen, die im Gewerkschaftshaus wohnte, wo das Paar einquartiert war, sie habe dieses rothaarige Luder schließlich mit eigenen Ohren stöhnen hören, und zwar die liebe lange Nacht. »Wenn ihr mich fragt, hat unser Kicker es ihr bis zum Morgengrauen lustig besorgt.«
Marilina, die schöne fünfzehnjährige Tochter des Vereinspräsidenten, tat an ihrem Platz am Ende der Brotschlange unbeteiligt, lauschte jedoch gebannt und fassungslos. Zu ihrer Freundin Marietta gewandt, sagte sie, sie solle nur mal hinhören, wie die Damen sich ihre sauberen Mäuler zerrissen, und über sie würde bestimmt genauso hergezogen, wenn sie es eines Tages mit Tuny Robledo täte und das Pech hätte, schwanger zu werden. Denn der sei zwar furchtbar schüchtern, habe sich noch kein Herz gefasst und sie nicht um den Beweis ihrer Liebe gebeten, aber sie sei zu allem bereit. Und das wisse er auch genau.
»Und dein Vater weiß immer noch nicht, dass du mit ihm gehst?«
Nein, der wusste von nichts. Und würde es auch besser nicht erfahren, schließlich sagte er ständig, sie sei noch viel zu sehr Kind, um an so was auch nur zu denken. Er ließ sie nirgends allein hin. Deshalb sahen sie sich auch so selten und nur heimlich. Aber bald war der erste November, und da fuhr ihr Vater nach Antofagasta.
»Das wird der Tag der Entscheidung«, sagte sie.
Marietta Piccoli, der sie ihr aufgewühltes jugendliches Herz ausschüttete, sah sie mit großen Augen ungläubig an und fragte, ob sie denn so mir nichts, dir nichts und Hals über Kopf ihre Jungfräulichkeit hergeben würde.
Als sie eben entgegnete, ja, gewiss doch, von nichts anderem träume sie schließlich jede Nacht, spürte Marilina, wie jemand ihr von hinten auf die Schulter tippte. Es war die berühmt-berüchtigte verrückte Maluenda, die Frau von Tarzán Tirado. In dreistem Ton verlangte das massige Weib, die hübsche Kleine solle so gut sein und ihr den Platz in der Schlange freihalten, bis sie die anderen Sachen fürs Mittagessen besorgt hätte, sie müsse nach María Elena ins Krankenhaus zu ihrem Mannund sei entsetzlich spät dran, der Blaue Windhund fahre gleich. Marilina nickte nur stumm. Die Frau war ihr unheimlich. Sie war das größte Schandmaul von allen. Und
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