Der Trick der alten Tante
Tantchen... Das würdest du niemals tun. Sag, daß das nicht dein Ernst ist.“ Man hörte direkt, wie Roswitha den Kopf schüttelte.
„Stell dich nicht so an“, ärgerte sich Alwine über die Reaktion ihrer Lieblingsnichte.
„Tantchen, was du da tust, das ist... das ist..., kriminell sagt man dazu.“
Diesmal schüttelte die Tante den Kopf. „Ich war bei Doktor Mützel, du weißt, das ist der Anwalt, der schon deinen Onkel beraten hat. Für hundertfünfzig Mark hat er mir schriftlich versichert, daß mein Tun zwar äußerst unmoralisch sei, jedoch in keiner Weise gegen das Gesetz verstoße. Also kann es auch nicht kriminell sein, wie du es nennst!“ schloß Alwine ihre Verteidigungsrede.
Eine Zeitlang hörte sie ihre Nichte nur atmen, dann war auch ihre Stimme wieder im Hörer: „Ich kann es nicht fassen, Tante (nicht mehr Tantchen!). Ich bin entsetzt, enttäuscht und niedergeschmettert.“
„Warum gönnst du mir nicht das bißchen Spaß, mein Täubchen?“
„Wie kann man nur so hinter dem Geld her sein? Du kriegst doch eine Menge Pension!“
„Geld kann man nie genug haben.“
„Ich hätte nie geglaubt, daß du so boshaft sein kannst!“
„Roswitha, wie redest du mit deiner alten Tante?“ begehrte Alwine Stengel streng auf. Ausgerechnet dieser Nichte hatte sie ständig heimlich Schokoladenpudding gekocht.
Doch jetzt war das „Täubchen“ erst richtig in Fahrt gekommen: „Es ist nicht nur boshaft, es ist sogar bösartig und hinterhältig! Ab sofort wirst du damit aufhören!“
Alwine schob trotzig die Unterlippe vor und kniff sich eine Falte der Ungehaltenheit zwischen die Augenbrauen. So konnte man nicht mit ihr umspringen, so nicht! Jetzt, wo sie gerade erst draufgekommen war, welchen wunderbaren Geschmack die Bosheit besaß, wollte sie so lange wie möglich daran naschen.
„Ich werde nicht aufhören, mein Täubchen! Ganz im Gegenteil. Für zwei Uhr hat sich eine neue Mieterin angesagt.“
„Pfui, schäm dich was, Tante Alwine!“
„Warum soll ich mich schämen, mein Täubchen? Ich werde die freundlichste Vermieterin sein, bis der Mietvertrag unterschrieben und die erste Miete in meiner Tasche ist.“ Jawohl, und dabei sollte es auch bleiben. Einmal mehr war Alwine gewillt, sich den Spaß nicht verderben zu lassen. „Ruf mal wieder an, mein Täubchen!“
„Das werde ich mir wohl recht lange überlegen müssen…“
Es klickte in der Leitung.
Alwine, die Tante, seufzte.
Im Radio spielte man gerade das Lied von der Pußta, und die Zeiger der Standuhr zeigten an, daß es halb zwei Uhr war.
Auch sie legte auf. Mit einem leisen, bedauernden Lächeln um die Mundwinkel...
14 Uhr.
Das Fräulein Dürer war angenehm pünktlich.
Alwine Stengel mochte es, wenn man pünktlich war. Sie selbst bezeichnete sich als „Sekundenfanatikerin“.
Auch sonst machte das blonde Fräulein einen guten Eindruck.
„Ich bin Erika Dürer. Frau Stengel?“
„Ja“, strahlte Alwine, „die bin ich. Treten Sie ein. Ich glaube, daß Ihnen das Zimmer gefallen wird.“
Das Fräulein trat ein, bereit, Liebenswürdigkeit mit Liebenswürdigkeit zu erwidern. „Vor allen Dingen käme es mir auch vom Standort aus äußerst gelegen. Ich arbeite nämlich hier ganz in der Nähe.“
„Ach“, wunderte sich Alwine. Das war ihr nicht sonderlich angenehm.
„Ja, in der Staatlichen Bibliothek.“
„Soso... bitte, das hier ist es!“
Ein lichtdurchfluteter Raum mit zwei Fenstern tat sich vor Erika Dürer auf. Ein Bett, mit Spitzendecke versehen, gemütliche Sessel, Tisch mit Stühlen, wunderschöne Bilder an den Wänden, geschmackvolle Lampen, eine gediegene Eßecke, ein kleiner Fernsehapparat und ein Klavier. Die künftige Mieterin machte keinen Hehl aus ihrer Überraschung und Begeisterung. Und im Überschwang ihrer Empfindungen rief sie: „Wunderschön! Ein wunderschönes Zimmer. So hell und geräumig. Und sogar ein Klavier. Ist es in Ordnung?“
„Aber natürlich“, nickte Alwine freundlich, und nur ein Gedankenleser hätte ihre innere Schadenfreude ausmachen können. „Es ist sogar neu gestimmt. Ja, ich habe mir sehr viel Mühe mit der Einrichtung gegeben.“
Erika breitete die Arme aus und meinte voller Erleichterung und Zufriedenheit: „Ich fühle mich schon richtig zu Haus. Nun fällt es mir direkt leicht, bei meinem Bruder auszuziehen.“
„Ach, Sie wohnen bei ihrem Bruder?“
„Ja, aber da ist es jetzt ein bißchen eng geworden. Da sind vor drei Wochen Drillinge eingetroffen, und nun
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