Der Triumph der Heilerin.indd
drehte sich seufzend um und holte ein Hauskleid.
Es gab so vieles, worüber sie nicht mehr miteinander sprachen. Eine Ehe, das war es, was Anne brauchte. Einen richtigen Ehemann aus Fleisch und Blut und nicht so eine unwirkliche Leidenschaft, die sich von Tag zu Tag immer mehr in einem verzauberten Nebel verflüchtigte. Die Ehe war ein Bündnis, ein Vertrag für die gegenseitige Hilfe und Unterstützung von Mann und Frau. Solch ein Vertrag würde Anne, den Knaben und die übrigen Hausbewohner schützen, wenn die ständigen Streitereien zwischen Burgund und Frankreich eskalierten. Es war eine Schande, eine Verschwendung, dass ihre Ziehtochter sich immer noch nach dem einzigen Mann sehnte, den sie nicht bekommen konnte, nach Edward, dem englischen König, Edward Plantagenet, dem Vater ihres Sohnes, obwohl sie ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Tausend Meilen weit fort über dem Meer und Anne doch so nah, immer so nah am Herzen.
Aber Dinge änderten sich, wenn es nötig war, und nun war unerwartet ein Funke Hoffnung in ihr Leben getreten. Am Abend zuvor war Leif Molnar aus Sluis eingetroffen - er war so spät gekommen, dass er nichts mehr erzählt hatte, außer dass er im Auftrag von Sir Mathew gekommen sei. Vielleicht brachte Leif eine Lösung für Anne? Vielleicht konnten sie alle wieder in das Haus der Cuttifers nach London gehen, bis die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Burgund vorüber wären? Aber auch in England waren Unruhen ausgebrochen. Es hieß sogar, Edward Plantagenet könnte seinen Thron verlieren. Gab es überhaupt noch einen sicheren Ort für sie?
Deborah nahm ein Hauskleid vom Haken an der Wand und schüttelte es energisch aus. Konzentriere dich auf den Augenblick, harte Arbeit verscheucht die düsteren Gedanken.
»Das Kammgarnkleid? Es ist noch ganz manierlich. Welche Ärmel hättest du gerne?«
»Wähle du sie aus, Deborah. Mir ist es egal.«
Das Kleid war für die Arbeit gedacht, nicht zum Herzeigen, trotzdem sah es recht hübsch aus. Es war dunkelrot, und es gab mehrere Ärmelpaare, die man je nach Laune auswechseln konnte. Deborah dachte, der Tag würde eher trüb werden, deshalb wählte sie Ärmel in einem fröhlichen Krokusgelb mit blauen Paspeln, die gut zu den blauen Schnürbändern des Kleides passten. Sie wusste, dass Anne fröhliche Farben mochte, vor allem jetzt, wo die Tage kürzer wurden. Dann suchte Deborah noch ein Leinenhemd für ihre Tochter aus. Anne liebte ihre selbst gewebten, warmen und haltbaren Wollkleider, konnte aber Wolle direkt auf ihrer Haut nicht ertragen. Das war schon als Kind so gewesen.
In einer Obstholztruhe lagen lange Strümpfe, die unter den Knien mit Bändern befestigt wurden. Und zum Schluss die tannengrüne Sergeschürze und das warme Schultertuch mit Kettfäden aus hellblauer Wolle und den leuchtenden Schussfäden aus gelber Seide.
Beim Ankleiden arbeitete sich Deborah auf Umwegen an ihre Zukunftspläne heran. »Also, was werden unsere Nachbarn wohl für das Ackerland verlangen?«
Während Deborah das Kleid schnürte, starrte Anne in das fahle Morgenlicht.
»Ich weiß nicht. Ich könnte ihnen auch statt Geld eine jährliche Apanage bieten. Das wäre für beide Seiten von Vorteil.«
Deborah band die blauen Bänder am Übergang von Oberteil und Rock zu einer festen Doppelschleife.
»Meinst du denn, Mutter und Sohn sind damit einverstanden? Das Land ist doch ihre Mitgift, oder?«
»Ich weiß nicht, was Mijnheer Landers' Mutter wirklich will. Er ist natürlich mehr am Geld interessiert. Aber vielleicht kann ich sie davon überzeugen, dass sich regelmäßige Einkünfte lohnen würden, da sie jetzt bei ihm wohnt. Damit wäre beiden geholfen, und wir müssten bei Vertragsabschluss nicht so viel zahlen. Ich habe mit dem Land einiges vor - es wird uns den Wert der Jahresrente zehnfach zurückgeben, wenn wir es sinnvoll nutzen. In der Flussmarsch ist der Boden sehr fruchtbar.«
Deborah war mit dem Ankleiden ihrer Tochter fertig und machte sich daran, das Gänsedaunenkissen energisch aufzuschütteln. Sie war entschlossen, die Dinge von der positiven Seite zu sehen. Wenn sie über die Zukunft des Bauernhofs sprachen, konnten sich auch andere Themen ergeben. »Was willst du dort anpflanzen?«
Anne sah von ihren Strumpfbändern auf. »Krokus. Safrankrokus. Ich glaube, dafür ist der Boden gut geeignet, und Wasser ist gleich in der Nähe. Für Safran gibt es immer einen Markt, und die Blumen sehen so hübsch aus. Wir könnten auch deinen
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