Der Trotzkopf
wurde. Ich möchte auch manchmal, wie er es that, an der Thüre kratzen und rufen: macht auf! Ich will hinaus!
Es ist gar nicht hübsch, immer eingesperrt zu sein. Zu Haus konnte ich doch immer thun und treiben, was ich wollte, im Garten, auf dem Felde, in den Ställen, überall durfte ich sein und meine reizenden Hunde waren bei mir und liefen mir nach, wohin ich ging. Ach, das war zu himmlisch nett! Was macht Bob, Papachen, und Diana und Mopsel und die andern? O, wenn ich sie gleich hier hätte!
Es ist in der Pension alles so furchtbar streng, man muß jede Sache nach Vorschrift thun. Aufstehen, Frühstücken, Lernen, Essen, – immer zu bestimmten Stunden. Und das ist gräßlich! Ich bin oft noch so müde des Morgens, aber ich muß heraus, wenn es sechs geschlagen hat. Ach, und wie manchmal möchte ich in den Garten laufen und muß auf den abscheulichen Schulbänken sitzen! Die furchtbare Schule!
Ich lerne doch nichts, Herzenspa’chen, ich bin zu dumm. Nellie und die andern Mädchen wissen viel mehr, sie sind auch alle klüger als ich. Nellie zeichnet zu schön! Einen großen Hundekopf in Kreide hat sie jetzt fertig, als wenn er lebte, sieht er aus. Und Klavier spielt sie, daß sie Konzerte geben könnte – und ich kann gar nichts!
Wenn ich doch lieber zu Hause geblieben wäre, dann wüßte ich doch gar nicht, wie einfältig ich bin. Nellie tröstet mich oft und sagt: ›Es ist keiner Meister von der Himmel gefallen, fang’ nur an, du wirst schon lernen!‹ Aber ich habe angefangen und doch nichts gelernt. Ich weiß nur, daß ich sehr, sehr dumm bin.
Am fürchterlichsten sind die Mittwoch Nachmittage. Da sitzen wir alle von drei bis fünf in dem Speisesaale. Die Fenster nach dem Garten sind weit offen und ich blicke sehnsüchtig hinaus. Es zuckt mir förmlich in Händen und Füßen, daß ich aufspringen möchte, um in den Garten zu eilen – ich darf es nicht, ganz still muß ich dasitzen und muß meine Sachen ausbessern, – Strümpfe stopfen und was ich sonst noch zerrissen habe, wieder flicken. Denke Dir das einmal, mein kleines Papachen! Deine arme Ilse muß solche fürchterliche Arbeiten thun! – Und Fräulein Güssow sagt, das wär’ notwendig, Mädchen müssen alles lernen. Sie war ganz erstaunt, daß ich nicht stricken konnte. Man kauft doch jetzt die Strümpfe, das ist ja viel netter, warum muß ich mich unnütz quälen? Es wird mir so schwer, die Maschen abzustricken, und ich mache es auch sehr schlecht.
Melanie Schwarz, sie ist sehr hübsch, ziert sich aber und stößt mit der Zunge an, und dann sagt sie immer zu allem: ›Furchtbar nett, furchtbar reizend, oder furchtbar scheußlich‹ – sie meinte neulich: ›Du strickst aber furchtbar scheußlich, Ilse.‹ Du siehst, Pa’chen, ich kann nichts!
In den Arbeitsstunden wird einmal französisch, einmal englisch die Unterhaltung geführt. Französisch kann ich mich allenfalls verständlich machen, aber englisch geht es sehr schlecht, so schlecht, daß ich mich schäme, den Mund aufzuthun. Nellie ist gut, sie hilft mir nach und will oft mit mir sprechen, wenn wir allein sind.
Du fragst mich, lieber Papa, ob ich schon Freundinnen habe, – ja – Nellie und noch sechs andre Mädchen sind meine Freundinnen, Nellie aber habe ich am liebsten. Wie sie alle heißen, will ich Dir das nächstemal schreiben, auch Dir erzählen, wie sie aussehen, heute kann ich mich nicht dabei aufhalten, sonst nimmt mein Brief kein Ende. Eine Schriftstellerin ist auch dabei, das muß ich Dir noch mitteilen.
Wenn wir spazieren gehen, nämlich jeden Mittag von zwölf bis eins und jeden Nachmittag von fünf bis sieben, gehe ich fast immer mit Nellie in einer Reihe. Wir müssen nämlich wie die Soldaten zwei und zwei nebeneinander marschieren. Eine Lehrerin geht voran, eine hinterher mit einer kleinen Pensionärin an der Hand. Nicht rechts, nicht links dürfen wir gehen, immer in Reih’ und Glied bleiben. Ach! und ich habe so oft Lust, einmal recht toll davonzulaufen, auf die Berge hinauf – immer weiter! – aber dann würde ich nicht wieder in mein Gefängnis zurückkehren – –
In die Kirche gehen wir einen Sonntag um den andern, dort gefällt es mir aber gar nicht. Ich sitze zwischen so viel fremden Leuten, und der Prediger, ein ganz alter Mann, spricht so undeutlich, daß ich Mühe habe, ihn zu verstehen. In Moosdorf ist es viel, viel hübscher! Da sitzen wir eben in unsrem Kirchstuhle und wenn ich hinunter sehe, kenne ich alle Menschen.
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