Der Trotzkopf
Züge sahen mild und freundlich aus. Eine Antwort auf ihre Frage wartete sie nicht ab, aber es gefiel ihr, daß Ilse lieber schwieg, als gegen ihre Ueberzeugung sprach.
»Nun iß nur, Kind,« fuhr sie fort, »mit der Zeit wirst du dich schon gewöhnen. In wenigen Wochen hast du alle deine kleinen Unebenheiten abgestreift und wir werden niemals nötig haben, etwas an dir zu rügen. Nicht wahr?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte Ilse und sah mit einem ziemlich verdrießlichen Gesicht auf ihren Teller nieder.
»Du mußt dir Mühe geben, dann wird es schon gehen.«
Dazu schwieg Ilse. Natürlich war sie fest davon überzeugt, daß ihr das größte Unrecht geschah. Warum sollte sie nicht natürlich essen? Der Papa hatte stets gesagt, sie solle keine Zierpuppe werden, nun hatte man bei allem, was sie that und wie sie es that, etwas auszusetzen. Sie wagte kaum noch etwas zu genießen und wenn das so weiter ging, wollte sie lieber verhungern. –
* * *
Am Abend, als Nellie und Ilse sich schlafen gelegt hatten,
als Fräulein Güssow bereits ihre Runde gemacht, als das Licht gelöscht und alles still im Hause war, rief Nellie, »wachst du, Ilse?«
»Ja,« antwortete diese, »was soll ich?«
»Zieh dir leise an, wir wollen dein kleiner Koffer auspacken.«
»Es ist ja aber dunkel,« meinte Ilse.
»O laß nur, ich habe schon eine Licht.«
Leicht und unhörbar stieg Nellie aus ihrem Bette und ging auf Strümpfen an ihre Kommode. Sie zog den oberen Kasten vorsichtig heraus und nahm einen kleinen Wachsstock aus demselben. Nachdem sie ihn angezündet hatte, stellte sie ein Buch davor, damit kein Lichtschimmer durch das Fenster drang.
»Ist doch fein, nicht?« fragte sie. »Nun eile dich aber,« trieb sie Ilse, die sich flüchtig ankleidete.
»Wo hast du der Schlüssel?«
»Hier habe ich ihn,« entgegnete Ilse und zog ihn unter dem Kopfkissen hervor, »ich werde selbst aufschließen.«
Nellie leuchtete mit dem Wachsstocke und hielt die Hand davor. Vornübergebeugt stand sie in neugieriger Erwartung, der Schätze harrend, die sich vor ihren Augen aufthun würden. Recht enttäuscht wurde sie, als Ilse anfing auszupacken. Die erwarteten Delikatessen – Nellie war eine Freundin davon – kamen nicht zum Vorschein.
»O, hast du keine Kuchen?« fragte sie, warf den Plunder heraus und durchsuchte mit der Hand bis auf den Grund.
»Au, au!« rief sie plötzlich und fuhr mit der Hand zurück. »Was ist dies? Ich habe mir gestochen!« Und richtig, ein roter Blutstropfen hing an dem kleinen Finger.
Ilse begriff nicht, woher die Verwundung kam, bis sie selbst in den Koffer griff und die Ursache entdeckte, – – o Schrecken! das Glas mit dem Laubfrosche war zerbrochen, und Nellie hatte sich an einem Glassplitter geritzt.
»Wo nur der Frosch ist,« sagte Ilse ängstlich und räumte die Scherben fort.
»Was? – eine Frosch? Eine lebendige Frosch? O je – hast du ihn verpackt? Wie kannst du so eine arme Tier in die Koffer thun? Ohne Luft muß er tot gehen!«
Ilse hatte soeben den kleinen Laubfrosch gefunden, – natürlich war er tot. Sie legte ihn auf die flache Hand und hauchte ihn an, vielleicht brachte sie ihn wieder zum Leben. Nellie lachte sie aus.
»Du hast die arm, klein Frosch gemordet,« sagte sie und nahm ihn in die Hand. »O, er ist kaput! Er kriegt keine Leben wieder, niemals! Morgen früh wollen wir ihn in ein Schachtel legen und unter die Linde vergraben.«
Ilse sah traurig auf den Frosch und die Thränen traten ihr in die Augen. Sie hatte das Tierchen selbst gefangen, es stets gefüttert und eine große Freude daran gehabt, nun hatte sie es getötet durch eigne Schuld.
»Wie schlecht von mir, daß ich so dumm sein konnte!« klagte sie sich an. »Ich dachte gar nicht daran, als ich meine Sachen packte, daß er ersticken müsse. Es ging so schnell –«
Einigermaßen tröstete sie die Aussicht auf das Begräbnis unter der Linde.
»Wir machen eine kleiner Hügel,« sagte Nellie, »und pflanzen Blumen darauf. Und ein klein Holzkreuz stecken wir in die Erden und schreiben daran: Hier ruht Ilses Frosch. Er mußte sein junge Leben lassen, weil ihm der Luft ausging.«
Dieser komische Einfall trocknete Ilses Thränen, sie mußte darüber lachen.
Als sie den ausgestopften Kanarienvogel ansah, fand sie, daß er sehr gelitten hatte. Das Köpfchen war ganz breit gedrückt und der eine Flügel hing herunter. Nellie gab ihm wieder einige Façon. Sie drückte
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