Der Trotzkopf
wurde sie milder gestimmt.
»Für diesmal,« sagte sie, »will ich dir vergeben, ich sehe, daß du dich selbst mit Vorwürfen strafst, und daß du zur vollen Erkenntnis deines Ungehorsams gekommen bist. Bessre dich! Beträgst du dich ein zweites Mal in ähnlicher Weise, würde ich die strengsten Maßregeln ergreifen, das heißt: ich würde dich zu deinen Eltern zurückschicken! – Ich hoffe, du vergißt dich niemals wieder, versprich mir das!«
Beinah hätte sie sich sofort gegen dieses Versprechen aufgelehnt und geantwortet: »Schicken lasse ich mich nicht! Dann gehe ich lieber gleich zu meinen Eltern,« – da war es wieder Lucies warnendes Beispiel, das diese böse Antwort von ihren Lippen scheuchte.
Zögernd und noch immer schluchzend ergriff sie des Fräuleins Hand. »Nie – wieder!« stammelte sie.
Und Fräulein Raimar war von der Wahrheit ihres Versprechens überzeugt und hatte beinah Mitleid mit der Reumütigen. »Nun geh’ und beruhige dich,« sagte sie in mildem Tone, »und sehe ich, daß du dich besserst, wird der heutige Tag von mir vergessen sein. –«
Als Ilse die Treppe zu ihrem Zimmer wieder hinaufstieg, fühlte sie sich leicht wie nie im Leben, es war ihr so frei und froh in der Brust, niemals hatte sie eine ähnliche Empfindung gekannt. Es war das Bewußtsein, sich selbst überwunden zu haben. –
Der Juli und August waren vorüber und man befand sich in den ersten Tagen des September. Ilse hatte sich mehr und mehr in das Pensionsleben eingelebt und fühlte sich längst keine Fremde mehr. An vieles, das ihr anfangs unmöglich erschien, hatte sie sich gewöhnt, ja gewöhnen müssen. Wie hätte sie auch vermocht, sich gegen das einmal Bestehende aufzulehnen! Das frühe Aufstehen, das regelmäßige Arbeiten, die Ordnung und Pünktlichkeit, die streng innegehalten wurden, – schwer genug hatte sie sich in all diese Dinge gefunden, und wer weiß, ob sie es überhaupt je gethan hätte, wenn Nellie nicht wie ein guter Geist ihr stets zur Seite gestanden hätte. Mit ihrer fröhlichen Laune half sie der Freundin über manche Schwierigkeit hinweg und oft verstand sie es, durch ein Wort, ja durch einen Blick dieselbe zu zügeln, wenn sich die alte Heftigkeit melden wollte.
Eine heftige Szene hatte sie übrigens nicht wieder herbeigeführt. Fräulein Güssows Erzählung war auf fruchtbaren Boden gefallen und hatte ihren trotzigen Sinn etwas nachgiebiger gemacht.
Ueber ihre Fortschritte und Fähigkeiten herrschte unter ihren Lehrern und Lehrerinnen eine sehr verschiedene Ansicht, wie dieses in der letzten Konferenz recht deutlich zu Tage trat. Der Rechenlehrer und der Lehrer der Naturgeschichte behaupteten, daß Ilse ohne jede Begabung sei, daß sie weder Gedächtnis, noch Lust am Lernen besitze. Andre waren vom Gegenteile überzeugt. Fräulein Güssow, die in der Litteratur und Doktor Althoff, der Deutsch, Geschichte und in der französischen Litteratur unterrichtete, waren in jeder Beziehung mit Ilses Kenntnissen und ihren Fortschritten zufrieden. Professor Schneider lobte ganz besonders ihren Fleiß und ihre Ausdauer, die sie bei ihm entwickle, und erklärte mit aller Entschiedenheit, wenn Ilse so fortfahre, würde sie es mit ihrem Talente weit bringen, sie habe in den acht Wochen, in denen sie seine Schülerin sei, so große Fortschritte im Zeichnen gemacht, wie nie eine andre zuvor.
Ueber dieses Lob geriet Monsieur Michael in Entzücken. Ja er vergaß sich in seiner lebhaften Freude so weit, daß er ausrief; »Bravo, Monsieur Schneider! So spreche auch ich, sie ist eine hochbegabte, eine entzückende, junge Mademoiselle.«
Fräulein Raimar lächelte über diese Ekstase und erkundigte sich nach Ilses Betragen.
Da kam denn leider manches bedenkliche Kopfschütteln an den Tag. Besonders wurde von einigen sehr gerügt, daß sie bei dem geringsten Tadel eine trotzige Miene mache, daß sie sogar mehrmals gewagt habe, zu widersprechen.
»Leider, leider ist dem so,« bestätigte die Vorsteherin, »und ich habe nicht den Mut, zu glauben, daß wir sie ändern können. Ich fürchte sogar, daß ihr zügelloser Sinn uns eines Tages eine ähnliche Szene, wie die bereits erlebte, machen wird, und was geschieht dann?«
»Dann geben wir sie den Eltern zurück,« fiel Miß Lead lebhaft ein. »Ich glaube, daß es dahin kommen wird. Ilse ist nicht nur verzogen, sie ist – wie soll ich sagen – sehr bäurisch, sehr brutal, sie paßt nicht in unsre Pension.«
Doktor Althoff warf
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