Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
Vom Netzwerk:
schickte sie einen Boten in Curts Wohnung. Er kehrte zurück mit der Meldung: der Herr sei seit zwei Stunden abgereist. – Sie hatte ihn auf ewig verloren!« – 
    »O, die arm’ Lucie! Der schlechter Mensch, warum konnt’ er ihr verlassen!« rief Nellie unter Weinen. »Er hat ihr gar nix lieb gehabt.« 
    »Er hat sie sehr geliebt,« entgegnete die Lehrerin und sah hinaus auf den strömenden Regen; »aber er war ein ganzer Mann, der Lucies trotzigen Widerstand nicht länger ertragen konnte.« 
    »Und wo ist Lucie geblieben?« 
    »Lucie?« wiederholte Fräulein Güssow zögernd, – »ein trauriges Geschick hat sie getroffen. Ein Jahr nach dem Geschehenen verlor die Großmutter fast ihr ganzes Vermögen. Die Villa mußte verkauft werden und Lucie, das verwöhnte und verzogene Mädchen, war gezwungen, für die Zukunft ihr eignes Brot zu verdienen.« 
    Ilse sah entsetzt die Lehrerin an. »Ja, ihr Brot zu verdienen,« betonte dieselbe. »Das erschreckt dich, nicht wahr? Aber es wurde ihr nicht so schwer, als sie einstmals geglaubt. Seit jenem Tage, da sie das Schwerste erfahren, war eine Aenderung in ihrem Wesen vorgegangen. Still und ernst ging sie einher und ihr übermütiges Lachen war verschwunden. – Sie bereitete sich vor, Gouvernante zu werden, und als sie ihr Examen bestanden hatte, ging sie, nachdem sie die Großmama durch den Tod verloren, nach London. Sie wirkt dort als Lehrerin in einem Institute.« 
    »Und der Maler? Hat die arm’ Lucie nie gehört davon?« 
    »Seine Werke hat sie oft in den Galerien bewundert – er selbst blieb verschollen.« 
    »Oh wie ein furchtbar trauriges Geschicht’ ist das!« rief Nellie. »Es thut mich sehr weh.« 
    Und Ilse? Sie saß da, die Hände gefaltet, mit gesenktem Blick. Sie war bis in das Innerste getroffen. Wie Lucie hätte auch sie gehandelt, auch sie würde es bis zum Aeußersten getrieben, auch sie würde ihr Lebensglück im trotzigen Uebermute geopfert haben. – Noch schwankte sie einen Augenblick, wie im Kampf mit sich selber, dann aber erhob sie sich schnell und ergriff Fräulein Güssows Hand. 
    »Ich will um Verzeihung bitten,« sagte sie in leisem Tone, es war, als ob sie sich scheue, ihre eigenen Worte zu hören. 
    Ueber der Lehrerin Gesicht glitt ein Freudenschimmer. Sie nahm die Reuige in den Arm und küßte sie zärtlich. 
    »Geh’ – geh’,« sagte sie gerührt, »und wenn je ein böser Geist wieder über dich kommen will, denk’ an Lucies traurige Geschichte.« 
    Zögernd und beklommen stieg Ilse die Treppe hinunter. Vor der Vorsteherin Zimmer blieb sie stehen. Sie konnte sich nicht entschließen, die Thür zu öffnen. Zweimal hatte sie schon die Hand nach dem Drücker ausgestreckt und wieder zurückgezogen. Es war so furchtbar schwer, die erste Abbitte zu thun. Ob sie umkehre? 
    Einen Augenblick war sie es willens, ja, schon machte sie eine leichte Wendung zurück, da hörte sie Fräulein Güssow die Treppe herabkommen. 
    Sollte dieselbe sie unverrichteter Sache hier finden? Sie hätte sich vor ihr schämen müssen. Mit einem tiefen Atemzuge öffnete sie die Thür. 
    Die Vorsteherin saß an ihrem Schreibtische; als sie Ilse eintreten sah, erhob sie sich. 
    Ilses Herz klopfte zum Zerspringen. Als sie das strenge, zürnende Auge Fräulein Raimars auf sich gerichtet sah, entsank ihr der Mut. Sie versuchte zu sprechen, aber es war ihr unmöglich, ein Wort hervorzubringen, die Kehle erschien ihr wie zugeschnürt. Es war eine Folterqual, die sie ausstand, und wenn jetzt der Boden unter ihren Füßen sich plötzlich geöffnet und sie hätte verschwinden lassen, sie würde es für eine Wohlthat des Himmels angesehen haben. Aber diese Wohlthat blieb aus, und Ilse stand noch immer wortlos vor der Vorsteherin. 
    Schon regte sich wieder der alte Trotz, der ihr eingab, es ruhig darauf ankommen zu lassen und sich nicht zu beugen – da war es, als ob Lucie sie traurig anblicke, als ob sie ihr mahnend zurief: »Nicht zurück! Geh’ mutig vorwärts!« 
    »Nun Ilse?« unterbrach Fräulein Raimar das minutenlange Schweigen. »Was ist dein Begehr?« 
    Ilse machte eine vergebliche Anstrengung zu sprechen und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus. Abgebrochen und unverständlich kam es von ihren Lippen: »Ver–zeih–ung!« 
    Fräulein Raimar war sehr aufgebracht über Ilses Betragen gewesen und sie hatte die Absicht gehabt, ihr eine derbe Lektion dafür zu geben, als sie indes dieselbe so zerknirscht und reuevoll vor sich stehen sah,

Weitere Kostenlose Bücher