Der Trotzkopf
wann schlug wohl ein fröhliches Lachen an ihr Ohr – und endlich vernahm sie die gedämpften Töne der Polonaise.
»Ilse, komm!« rief Lilli plötzlich und Fräulein Güssow fuhr erschreckt zusammen. »Ilse, bitt, bitt schön, komm! Ich führ dich in den Saal, komm!« – Hoch hatte sie sich im Bett aufgestellt und machte alle Anstrengungen, aus demselben zu springen.
Fräulein Güssow legte den Arm um das fiebernde Kind und versuchte es niederzulegen, aber Lilli stieß sie von sich.
»Geh fort!« rief sie; »du bist nit des Kaisers Tochter, du hast kein schönes Kleiderl an! – Ilse! Ilse komm!«
Angstvoll und gellend stieß sie ihre Worte heraus und mit starren Augen blickte sie ihre Pflegerin an.
»Wenn du ruhig bist, wird Ilse kommen,« sagte dieselbe mit zitternder Stimme, die Angst schnürte ihr fast die Kehle zu. »Sei ruhig, mein Liebling, willst du? Lege dich nieder – ganz still – so.« Und sie bettete mit sanfter Gewalt die immer noch aufrechtstehende Lilli in die Kissen.
»Ganz still,« wiederholte das Kind mechanisch; »Ilse komm, – ganz still!«
Fräulein Güssow zog an der Klingelschnur, und nach einiger Zeit ängstlichen Harrens erschien die Köchin. Sie war die einzige, welche die Glocke vernommen hatte, die beiden andern Dienstboten waren im Vorderhause beschäftigt.
»Rufe sofort Fräulein Ilse,« gebot sie mit halblauter Stimme, »und dann hole den Arzt. Das Kind ist sehr krank. Aber still und ohne Aufsehen, Bärbchen, niemand darf es wissen.«
»Aber wenn mich Fräulein Raimar fragen sollte,« wandte die etwas schwerfällige Köchin ein, »dann muß ich es ihr sagen, nicht?«
»Sie wird dich nicht fragen, wenn du deine Sache klug machst. Eile dich nur, ich bitte dich!«
Der Zufall kam Bärbchen zu Hilfe. Gerade als sie sich dem Saale näherte, traten Ilse und Nellie lachend und plaudernd, mit ganz erhitzten Wangen, Arm in Arm, aus der Thür desselben.
Geheimnisvoll winkte ihnen die Köchin zu. »Fräulein Ilschen,« sagte sie, »Sie möchten gleich zu Fräulein Güssow kommen!«
»Es ist doch nichts passiert, Bärbchen?« fragten beide Mädchen fast zugleich.
»O nein, passiert gerade nichts, aber das Kind ist kränker geworden, ich soll gleich den Doktor holen. Es soll aber niemand etwas wissen. Sie brauchen keine Angst zu haben, Fräuleinchens,« beruhigte sie, als sie die erschrockenen Gesichter vor sich sah, »so schnell geht das nicht mit so kleinen Kindern. Krank – tot – gesund – man weiß nicht, woher es kommt! Aber nun will ich laufen!« Und wie der Wind war sie die Treppe hinunter und zum Hause hinaus.
»Ich gehe mit dich,« sagte Nellie, aber Ilse wehrte ihr ab.
»Du mußt in den Saal zurückkehren, Nellie,« erklärte Ilse entschieden, »es würde Aufsehen erregen, wenn wir beide fehlten. Ich gehe allein und bringe dir bald Bescheid.«
Traurig sah Nellie der Freundin nach, dann kehrte sie zurück in den hellerleuchteten Saal. Schwer legte es sich auf ihr Herz, als sie ringsum nur glückliche, fröhliche Menschen sah – unwillkürlich füllte sich ihr Auge mit Thränen.
Aber ihr betrübtes Gesicht durfte niemand sehen, sie trat deshalb unbeachtet hinter eine Tannengruppe.
Einer indes hatte sie doch beachtet und das war Doktor Althoff. Als er sie mit so ernstem Gesicht eintreten und gleich darauf verschwinden sah, näherte er sich ihr langsam.
»Weshalb suchen Sie die Einsamkeit, Miß Nellie?« fragte er herzlich. »Haben Sie Kummer?«
»O Herr Doktor, ich ängstige mir so um das Kind! Bärbchen hat Ilse gerufen und holt jetzt der Arzt!« Und Nellies sonst so fröhliche Augen blickten in Angst und Trauer den jungen Mann an.
Doktor Althoff hatte sie nie so lieblich gesehen als in diesem Augenblicke.
Die schelmische, lustige Nellie in dem duftigen, hellblauen Kleide, den Kranz von Tausendschön im goldblonden Haar, hatte ihn schon den ganzen Abend erfreut, die trauernde Nellie, die ein so warmes Mitgefühl verriet, entzückte ihn geradezu.
»Beruhigen Sie sich,« tröstete er, »ich werde sofort in das Krankenzimmer gehen und verspreche Ihnen, Sie zu benachrichtigen, wie es dort steht.«
Als er die Thür desselben nach leisem Anklopfen öffnete, bot sich ihm ein rührender Anblick dar. Ilse kniete an dem Bett und hatte ihr Haupt dicht neben Lillis Köpfchen gelegt, so daß ihre braunen Locken sich mit den lichtblonden des Kindes mischten. Eine frische, rote Rose, der einzige Schmuck, den sie heute
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