Der Turm der Könige
dir aus dem Weg gehen«, hatte Julia geantwortet, bevor sie lustlos in ihr Brot biss.
Den Gerüchten zufolge war Mamita Lula auf einem Sklavenschiff, das nach Elfenbein und Tyrannei roch, nach Sevilla gekommen, eine Angehörige des afrikanischen Stamms der Yoruba, der als Wiege des Voodoo galt. Dünn sei sie gewesen, in ihrem geflochtenen Haar hausten die Flöhe, sie habe eitrige Pusteln an Augen und Lippen gehabt und Laute ausgestoßen wie ein wildes Tier. Doña Julias Vater, der angesehene Apotheker Juan Nepomuceno Gil de la Sierpe, hatte sie auf einem seiner Spaziergänge durch den Hafen entdeckt. Dort hatte er auf die Ankunft eines Schiffes aus Neuspanien gewartet, das endlich ein Wundermittel mitbrächte, um das Sumpffieber zu kurieren, das sich in der Stadt allmählich zu einer Seuche entwickelte. Juan Nepomuceno kannte sich mit Pflanzen aus und war überzeugt, dass es in Übersee Heilkräuter gab, welche die Krankheiten des europäischen Kontinents ausrotten konnten.
»Hätte ich keine Familie, die auf mich angewiesen ist, ich würde mich einschiffen und mit Heilmitteln gegen sämtliche Krankheiten zurückkehren. Die Burschen, die in dieses gelobte Land ziehen, sind unkultivierte Esel, die nichts weiter zustande bringen, als sich mit den bedauernswerten Indianern herumzuschlagen«, erklärte er. »Was für eine Verschwendung! Dabei heißt es, dass da drüben sogar unter den Steinen Heilkräuter wachsen! Wir sind völlig auf dem Holzweg. Da schaffen wir Gold und Silber herbei, wo doch die Gesundheit das einzig wahre Gut ist. Was nützt einem alles Geld, wenn man nicht gesund ist?«, sagte er zu seinen Freunden, die lächelnd zu seinen Predigten nickten, allerdings mehr aus Sympathie als aus Überzeugung.
Señor Gil de la Sierpe fühlte sich zum Humanismus hingezogen; die Nächstenliebe war sein oberstes Gebot. Und so erbarmte er sich, als er das schwarze Mädchen in sich zusammengesunken auf einer Kiste stehen sah. Ihre Blöße bedeckte sie mit einem schmutzigen Fetzen Stoff, um den Hals ein rostiges Halseisen, das mit Hand- und Fußfesseln verbunden war, während der Sklavenhändler ihre Vorzüge anpries, als ginge es um einen Sack Gerste. Señor Gil de la Sierpe bezahlte ohne mit der Wimper zu zucken den geforderten Preis und nahm sie mit nach Hause. Den Protest seiner Frau ignorierte er. Als das Mädchen sauber und neu eingekleidet war, konnten sie feststellen, dass es sich um eine etwa Vierzehnjährige handelte, die nicht einmal ansatzweise mit Messer und Gabel umzugehen wusste. Das einzige Wort, das sie einigermaßen deutlich ein ums andere Mal wiederholte, war »Lula«.
Julia, die damals knapp fünf Jahre alt war, war hingerissen von der neuen Mitbewohnerin. Sie nahm sie bei der Hand, und die beiden verschwanden die Treppe hinauf. Zweieinhalb Stunden sah und hörte man nichts mehr von ihnen. Die anderen riefen nach ihnen, suchten sie unter den Betten, auf dem Dachboden, in der Vorratskammer. Doña Julias Mutter warf ihrem Mann vor, er habe eine Menschenfresserin ins Haus geholt, die kleine weiße Kinder verspeise. Bis der Gärtner eine Kleiderspur entdeckte, die von der Küche in den Hinterhof führte. Dort fanden sie die beiden Mädchen, nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, lachend, in einem unverständlichen Kauderwelsch plappernd und bis zu den Ohren mit Dreck beschmiert.
»Da siehst du, was du mit deinem krankhaften Mitleid angerichtet hast«, herrschte Julias Mutter ihren Mann an, während sie ihre Tochter am Arm wegzerrte und mit ihrem Umschlagtuch bedeckte. »Wir müssen uns diese Brut vom Hals schaffen … Sie wird eine Wilde aus dem Mädchen machen. Ich will, dass sie unverzüglich dieses Haus verlässt!«
Die Entschlossenheit seiner Frau schien Juan Nepomuceno zu überzeugen. Doch als die kleine Julia sah, dass man sie von ihrer neuen Freundin trennen wollte, bekam sie einen Tobsuchtsanfall. Sie wurde knallrot, warf sich auf den Boden und biss und trat jeden, der sich ihr näherte. Während sie kreischte, schluchzte und lautstark die Nase hochzog, war nur zu verstehen, dass sie in den Fluss springen werde, wenn Lula wegginge.
Im Laufe der Jahre lernte Mamita Lula, mit andalusischem Akzent zu sprechen, und wurde eine treue Dienerin Unserer lieben Frau von den Engeln, der Schutzheiligen der Bruderschaft der armen Neger. Niemand bereitete eine so gute Gazpacho zu wie sie, wobei sie dem Gericht mit Bitterorangen eine eigene Note gab. Allmählich handhabte sie Messer und Gabel gut genug,
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