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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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zu tun hatte, und wünschte, dass ihr ein Gebet in den Sinn käme. Doch sie konnte an nichts anderes denken als an das, was sie heute noch alles zu erledigen hatte. Trotzdem blieb sie still und reglos vor dem Grab stehen. Sie wollte nicht, dass jemand sah, wie sie allzu eilig den Ort verließ, an dem ihr Gatte seine ewige Ruhe gefunden hatte, und das ausgerechnet an einem solchen Feiertag. Nach einer Zeitspanne, die ihr angemessen erschien, bekreuzigte sie sich, ging mit Mamita Lula hinaus und schloss hinter sich ab. Sie hakten sich wieder unter und gingen zur Capilla Mayor, um sich einen guten Platz zu suchen.
    Da es ein besonderer Tag war, würde Pater Zacarías die Messe lesen, der blinde Poet, der für seine flammenden Predigten berühmt war. Der Prediger besaß eine große Anzahl von Anhängern, die ihm folgten, als wäre er der Messias. Gewisse Kreise in der Stadt behaupteten, durch seine Blindheit könne er mit den Augen der Seele sehen und tausendmal mehr wahrnehmen als andere Sterbliche. Ihm eilte ein solcher Ruf voraus, dass Doña Julia einen jungen Kopisten anstellte, der sich in die erste Kirchenbank setzte, um seine schönsten Predigten mitzuschreiben. Danach wurden sie in der Druckerei als geheftete Bögen herausgegeben, damit diejenigen, die des Lesens mächtig waren, sie erwerben, studieren, ergründen und in der Stille ihrer Schlafzimmer verinnerlichen konnten. Es machte nichts, wenn jemand die letzte Predigt des dichtenden Paters verpasste, denn dank der Schriften, die Julia de Haro vertrieb, konnte man sie bald, von Musik begleitet, an den Straßenecken der Stadt hören.
    An diesem Samstag stieg Pater Zacarías mit resignierter Miene auf die Kanzel.
    »Brüder und Schwestern«, begann er mit wehleidiger Stimme. »Gerne würde ich euch versichern, dass sich alle Seelen, die dieses Jammertal verlassen haben, im Himmel befinden.« Er machte eine Pause. Dann änderte sich sein Ton. Ein Mann in der dritten Reihe, dem der Kopf auf die Brust gesunken war, schreckte mit angstgeweiteten Augen aus dem Schlaf hoch, als er brüllte: »Aber das kann ich nicht! Der Mensch ist eitel, hochmütig und böse … Deshalb gibt es die Verdammnis. Die Hölle!«, wetterte er mit erhobener Faust.
    Den Frauen stockte der Atem, die Männer rissen die Augen auf und schlangen die Hände fest um die Knie. Aber die Predigten folgten einer einstudierten Abfolge von Strenge und Milde. Wenn Pater Zacarías merkte, dass sein Publikum fast verging vor Angst, wartete er ein wenig, zögerte diesen Moment wohligen Leidens heraus und legte dann seine düstere Miene ab, um zu beruhigen, dass es noch Anlass zur Hoffnung gebe.
    Julia kannte den Ablauf der Predigten genau und ließ sich nicht beeindrucken. Sie war davon überzeugt, dass sie vor Gott eine bessere Christin war, wenn sie fünf Minuten am Tag persönliche Zwiesprache mit ihm hielt, statt stets gebannt zuzuhören, wenn von ihm geredet wurde. Doch da sie sicher war, dass nur wenige ihre Einstellung verstünden, setzte sie sich in die zweite Reihe, um gesehen zu werden. Hier war sie nur einen Steinwurf von dem Prediger entfernt, und die Leute in den Nachbarbänken wurden Zeuge ihrer ernsten Miene, die den Kummer um den Tod des Ehemannes widerspiegelte – die Ärmste, so jung, er hat ihr keine Kinder hinterlassen, dafür aber ein so schwieriges Geschäft. Die zu spät Gekommenen, die in den hinteren Bänken saßen, konnten sie an dem tief sitzenden kastanienfarbenen Haarknoten ausmachen, der ihren schlanken Hals betonte. Doña Julia war selbst aus der Entfernung unverwechselbar. Stets in Schwarz gekleidet, groß, schlank, das Gesicht noch frisch und rosig, der Körper straff und wohlgeformt, der Rücken stets kerzengerade, Ausdruck ihres stolzen Wesens, so bescheiden sie sich auch in der Öffentlichkeit geben mochte.
    Als Pater Zacarías an die Stelle mit der Auferstehung der Toten kam, musste sie gähnen. Sie versuchte es hinter vorgehaltener Hand zu verstecken, aber dennoch entwischte ihr ein Geräusch, das wie das Maunzen einer Katze klang. Die Leute in der ersten Reihe drehten sich zu ihr um. Mamita Lula seufzte vernehmlich, um abzulenken, und tätschelte ihr die Schulter. Einige hielten die Laute der Frauen für ein frommes Schluchzen in Gedenken an den vor fünf Jahren verstorbenen Ehemann und bedachten sie mit mitleidigen Blicken. Julia nickte dankbar.
    Sie wünschte, die Messe ginge zu Ende. In der Druckerei waren tausend Aufträge zu erledigen: eine Schilderung des

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