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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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Doktor, ich habs jetzt schon eine ganze Weile im Rücken. Sieht so aus, als würd ichs gar nicht mehr los.«
    »Und wo sitzt der Schmerz genau?«
    »Äh, im Rücken.«
    »Ja, das hab ich schon verstanden! Könnten Sie vielleicht etwas genauer sein?« Der Arzt setzte die Brille auf und beugte sich vor. »Wo genau ... oben, unten, in der Mitte?«
    »Ach so, jetzt verstehe ich. Unten. Macht mir morgens Angst. Ehrlich, es gibt Tage, an denen komme ich kaum aus dem Bett.«
    »Oje! Morgens ist es also schlimmer?«
    »Ja, viel schlimmer.«
    Dr. Brewster war etwas verkatert und litt unter Verstopfung. Er hatte es satt, dem Stöhnen und Ächzen der Landeier von Tailorstown zuzuhören.Er sah Jamie direkt an, sah einen Mann vor sich, der wie ein Loch soff und wie ein Ofenrohr qualmte, und entschied wider besseres Wissen, dass er nicht aufstehen und Jamie eingehend untersuchen würde.
    »Hört sich nach einem eingeklemmten Ischias an«, sagte er und griff nach Rezeptblock und Stift. »Nichts Schlimmes.«
    »Ischi ... was, Doktor?«
    »Ischias, James. Kommt vom Heben schwerer Gegenstände in Verbindung mit einem Mangel an Sport.« Seine Augen wurden schmal, er sah ihn vorwurfsvoll an. »Was haarscharf zu dem Hof und Ihrem Lebens stil passen würde.«
    Er schrieb etwas auf. »Strahlen die Schmerzen in das Gesäß oder in die Genitalregion aus?«
    »In die ... in der wo, Doktor?«
    »In die Arschbacken oder die Weichteile, Mann.« Der Arzt deutete mit dem Stift auf Jamies entsprechende Körperregionen.
    »Ach so, da unten. Nee, da merk ich gar nix ... überhaupt gar nix«, fügte er gedankenvoll hinzu.
    Der Arzt betrachtete ihn über seine Brille hinweg. »Aha. Wie alt sind Sie jetzt, James?«
    »In diesem Mai bin ich einundvierzig geworden.«
    »Sie sind noch jung, James. Sie sollten mehr ausgehen. Mal einen kurzen Urlaub an der See machen. Gutes Essen, Meeresluft ... Würde Ihnen richtig guttun ...«
    »Aber wer soll sich dann um alles kümmern? Sie wissen doch selbst, dass ich die Kühe und das Heu und alles nich einfach im Stich lassen kann.«
    »Unsinn! Wohnt Paddy McFadden nicht ein Stück die Straße runter? Paddy ist einer, dem man vertraut ... Portaluce heißt der Ort.«
    Dr. Brewster schrieb irgendetwas auf seinen Block, wobei sein Mehrfachkinn vor Anstrengung bebte. »Nehmen Sie das Valium noch?«
    »Ja, Doktor.«
    »Hilft es Ihnen denn?«
    »Doch, schon.« Jamie sah niedergeschlagen auf den Fußboden. »Aber Mick bringt es nicht zurück.«
    Der Doktor bemerkte Jamies plötzlichen Stimmungswechsel, hörte auf zu schreiben und legte den Stift beiseite. »Ich weiß, James. Es muss sehr schwer für Sie sein ohne Ihren Adoptivvater«, sagte er freundlich. »Aber wissen Sie, die Zeit heilt alle Wunden. Und die Pillen werden Ihnen helfen. Wie lang ist es jetzt her?«
    »Zehn Monate, zwei Wochen und fünf Tage. Gott, ich hab mir nie vorgestellt, dass er mal stirbt. Wo ich ihn tot gefunden hab, an dem Morgen, wollte ich auch sterben.« Er knetete die Kappe in den Händen. »Manchmal geht es mir immer noch so.«
    »Na, wer wird denn schon so was sagen, James. Ich weiß, dass es hart war für Sie. Aber Sie sind zäh, und Sie machen Fortschritte.«
    »Aber ich brauche jemand zum Reden, Doktor. Und hab nur den kleinen Shep ... Mick war immer für mich da, wir haben über alles geredet.«
    Dr. Brewster zog ein Taschentuch hervor und putzte seine Brille langsam und bedächtig. »Hm ... deswegen hab ich Ihnen ja auch vorgeschlagen, dass Sie mal an die See fahren. Da kommen Sie auf andere Ge danken. Und man kann nie wissen, wen man kennenlernt.« Er steckte das Taschentuch ein und setzte die Brille wieder auf. »Wissen Sie, James, es gibt so viele Menschen in Ihrer Lage, vor allem Frauen in Ihrem Alter, die ihre Eltern gepflegt haben, und wenn die Eltern gestorben sind, entdecken sie plötzlich, dass niemand mehr da ist. Sie sind schließlich erst einundvierzig. So eine Frau wäre doch froh, einen Mann wie Sie kennenzulernen.«
    »Ach, Gott, glauben Sie das wirklich, Doktor?« Jamies Stimmung hellte sich auf. »Wissen Sie, Paddy und Rose haben auch gemeint, ich soll versuchen, wen kennenzulernen. Aber ich weiß nich ... wenn mich eine Frau ansieht, dann weiß ich doch gar nich, was ich sagen soll.«
    »Ach James, allein diese Tatsache macht Sie schon zum idealen Ehemann. Frauen schätzen nichts mehr als einen stummen Mann; die meisten von ihnen könnten sowieso für ganz Irland sprechen, meine eigene Frau inbegriffen.«
    Dr. Brewster

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