Der übersehene Mann: Roman
Schwelle herum, bevor er seine Kappe abnahm. Er war ein sanfter, kleiner, schlecht proportionierter Mann, dessen Beine zu kurz, Arme zu lang und Ohren zu groß waren, so als würde er von zwei wild gewordenen Hunden in entgegengesetzte Richtungen gezerrt. Er rauchte fünfzehn Zigaretten am Tag und trank seinenWhiskey unverdünnt. Er ging durchs Leben, ohne sich allzu viele Gedanken zu machen, aber er wusste mit Sicherheit, dass Gott einen Bart und der Teufel Hörner hatte, und dass sein Schutzengel ihn seit dem Tag seiner Geburt begleitete.
»Wirklich gar nich mal so übel, Paddy«, sagte Jamie. »Setz dich doch da drüben hin.«
»Rose schickt dir ein paar Pfannkuchen.« Er stellte eine braune Papier tüte auf dem Tisch ab und ging mit kurzen Schritten zum Sessel.
»Oh! Geht’s ihr gut?«
»Jawoll, besser geht’s gar nich, Jamie.«
Paddy legte seine Kappe auf die Lehne und sah sich die unbestreitbaren Anzeichen der Verwahrlosung im Haushalt seines Freundes an: den Ruß auf dem Boden, die dicke Staubschicht auf den Möbeln. Er fragte sich, wie Jamie in diesem Schmutz überhaupt leben konnte. Ihm schauderte bei dem Gedanken daran, was Rose sagen würde, wenn sie dieses Zimmer sehen könnte. Das Leben seiner Frau schien sich tagtäglich um das Saubermachen und Aufräumen zu drehen. Paddy war der Meinung, dass ihre dreiundzwanzigjährige Ehe alles in allem so gut gegangen war, weil er sich früh Roses Bedürfnis nach Ordnung und Sauber keit gefügt hatte.
Als er sich Jamies Haus ansah, dachte er, dass dessen zukünftige Frau gerne im Haus arbeiten müsste. Er konnte nicht ahnen, dass Jamie einen guten Grund für seine Vorliebe zur Unordnung hatte. Sie war nämlich eine unausgesprochene Rebellion gegen die auferzwungenen Reinigungs rituale seiner Kindheit. Jamie sprach mit niemandem über diese Zeit seines Lebens. Nicht einmal mit seinem engsten Freund.
»Sie macht sich wirklich Sorgen um dich.«
Paddy schien sich in seiner Haut nicht wohlzufühlen und Jamie begann sich zu fragen, was los war.
»Wer?«, fragte er verwirrt. Die beiden Männer waren in der Kunst der Konversation nicht sonderlich geübt und neigten daher dazu, zwischen ihren Kommentaren und Fragen so lange Pausen zu machen, dass sie oft vergaßen, worüber sie gerade sprachen.
»Rose macht sich Sorgen um dich, Jamie.« Paddy kratzte sich an der Augenbraue und sah in das brennende Feuer. »Rose macht sich Sorgen um dich, ja wirklich.«
Jamie wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. »Na ja, ich denke mal ...«, begann er lahm.
Seit Micks Tod machten sich die McFaddens als gute Nachbarn und Freunde immer mehr Gedanken um Jamie. Eine peinliche Pause entstand und Jamie hoffte, dass Paddy etwas sagen würde.
»Weißt du, Jamie, sie will dir mal ... sie hat gesagt, sie will mal ...«. Er sah sich verwirrt um. »Herrgott nochmal, was hat sie nochmal gesagt?«
»Wollte sie mir mal einen Besuch abstatten?«
»Nee, das wars nich.«
»Mir die Pfannkuchen bringen?«
»Nee, das auch nich, ich meine, sie hat mir schon gesagt, dass ich dir die Pfannkuchen geben soll, aber da war noch was anderes, was ich dir sagen sollte, nachdem sie das mit den Pfannkuchen gesagt hat.« Paddy sah zur rauchvergilbten Decke hoch, von der er sich eine Eingebung erhoffte. »Was hat sie denn noch mal gesagt?«
»Wollte sie vielleicht irgendwohin mit mir?«
Jamie gingen langsam die Ideen aus. Aber da fiel es Paddy wieder ein.
»Ah! Jetzt erinnere ich mich. Sie hat mir gesagt, ich soll dir einen Rat geben.«
»Großer Gott, einen Rat?« Jamie sank tiefer in seinen Sessel und fragte sich, wo das eigentlich hinführen sollte. Er fand, dass Rose eine kluge Frau war und erwartete gespannt ihre Botschaft für ihn. »Einen Rat wozu?«
»Na ja, das ist ja die Sache ... Es geht um ... na ja, das hat Rose mir gesagt, damit ich es dir sage. Es geht um ...« Offensichtlich genierte Paddy sich. Jamie sah sich in dem Chaos um ihn herum um.
»Dass ich hier mal Ordnung schaffen soll?«
»Nee, darum geht’s nich. Na ja, sie hat mir gesagt, dass ich dir ... na, ich soll dir sagen ...« Er nahm die Kappe von der Lehne und untersuchtesie genauestens. »Na ja, sie hat gesagt, dass du dich vielleicht mal langsam nach ... dass du dir mal langsam ...«
»Soll ich mir ein Auto kaufen?«
»Nee, kein Auto, du sollst dir eine ... na ja, sie hat gesagt, dass du dir vielleicht ... eine Frau suchen solltest.«
Jamie zuckte merklich zusammen. Als hätte Paddy ihn in die Weichteile getreten.
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