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Der Unbesiegbare

Der Unbesiegbare

Titel: Der Unbesiegbare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Stimme. Er trat ein.
    »Anscheinend völliger Gedächtnisschwund. So sieht es zumindest aus«, sagte der Neurophysiologe. Er stand mit dem Rücken zu Rohan und betrachtete eine Röntgenaufnahme, die er in der Hand hielt. Am Schreibtisch saß der Astrogator vor dem aufgeschlagenen Bordbuch. Seine Hand lag auf einem der mit zusammengerollten Sternkarten vollgestopften Regale. Schweigend hörte er Sax zu, der bedächtig die Aufnahme in einen Umschlag steckte.
    »Amnesie, aber ein Sonderfall. Nicht nur, daß er nicht mehr weiß, wer er ist, er hat auch die Sprache verloren, dieFähigkeit zu schreiben und zu lesen eingebüßt. Eigentlich ist das sogar mehr als Amnesie. Es ist völliger Verfall, Zerstörung der Persönlichkeit. Außer den primitiven Reflexen ist nichts übriggeblieben. Er ist imstande, zu gehen und zu essen, aber nur, wenn ihm das Essen in den Mund gesteckt wird. Er nimmt es an, aber …«
    »Hört und sieht er?«
    »Ja, gewiß. Aber er begreift nicht, was er sieht. Er kann Menschen nicht von Gegenständen unterscheiden.«
    »Und die Reflexe?«
    »Normal. Es ist eine zentrale Sache.«
    »Eine zentrale?«
    »Ja, eine Sache des Gehirns. Anscheinend sind alle Spuren des Gedächtnisses mit einem Schlage völlig gelöscht worden.«
    »Dann war dieser Mann vom ›Kondor‹ also auch …«
    »Ja. Jetzt bin ich sicher. Das war das gleiche.«
    »Ich habe so etwas ein einziges Mal gesehen«, sagte der Astrogator leise, fast flüsternd. Er blickte zu Rohan hinüber, nahm aber nicht Notiz von ihm. »Das war im Raum.«
    »Ach, ich weiß! Daß mir das nicht gleich eingefallen ist!« stieß der Neurophysiologe mit hoher Stimme hervor.
    »Amnesie durch magnetischen Schock, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ein solcher Fall ist mir noch nicht begegnet. Ich kenne diese Krankheit nur aus der Theorie. So was ist doch vor langer Zeit vorgekommen, wenn starke Magnetfelder mit hoher Geschwindigkeit durchflogen wurden?«
    »Ja. Das heißt unter spezifischen Bedingungen. Die Feldstärke ist weit weniger von Bedeutung als der Gradient und die Heftigkeit der Veränderung. Treten im Raum große Gradienten auf – und mitunter gibt es ganz hübsche Sprünge –, dann stellen die Meßuhren sie auf Entfernung fest. Früher war das nicht möglich …«
    »Stimmt«, pflichtete der Arzt bei. »Das ist wahr. Ammerhatten hat solche Versuche an Affen und Katzen vorgenommen. Er setzte sie der Wirkung riesiger Magnetfelder aus, bis sie das Gedächtnis verloren …«
    »Ja, das hat schließlich etwas mit der Beantwortung elektrischer Reize durch das Gehirn zu tun.«
    »Aber in diesem Fall haben wir außer Gaarbs Bericht die Aussagen seiner Leute«, überlegte Sax laut. »Gewaltige Magnetfelder, das müssen doch wohl Hunderttausende Gauß sein?«
    »Das reicht nicht. Dazu sind Millionen nötig«, sagte der Astrogator schroff. Erst jetzt traf sein Blick auf Rohan.
    »Kommen Sie herein, und schließen Sie die Tür!«
    »Millionen? Würden die Bordapparaturen ein solches Feld nicht ausfindig machen?«
    »Soweit sie dazu imstande sind«, entgegnete Horpach. »Wenn es auf sehr kleinem Raum konzentriert wäre – wenn es, sagen wir, den Umfang dieses Globus hätte und von außen abgeschirmt wäre …«
    »Kurz gesagt, wenn Kertelen den Kopf zwischen die Pole eines gigantischen Elektromagneten gesteckt hätte …?«
    »Auch das genügt noch nicht. Das Feld muß in einer bestimmten Frequenz oszillieren.«
    »Aber dort gab es weder Magneten noch eine Maschine, außer diesen verrosteten Trümmern. Nichts, nur ausgewaschene Schluchten, Kies und Sand …«
    »Und Höhlen«, fügte Horpach ruhig, fast gleichgültig hinzu.
    »Und Höhlen. Glauben Sie, daß ihn jemand in eine solche Höhle gezogen hat und daß dort ein Magnet ist. Nein, das ist doch …«
    »Und wie erklären Sie es sich?« fragte der Kommandant, als wäre er des Gesprächs überdrüssig.
    Der Arzt schwieg.
    Um drei Uhr vierzig nachts gellten die Alarmsignale durch alle Stockwerke des »Unbesiegbaren«. Die Männer fuhren aus dem Schlaf hoch und eilten, kräftig fluchend und sich unterwegs fertig anziehend, an ihre Plätze. Fünf Minuten nach dem ersten Schnarren der Klingeln war Rohan im Steuerraum. Der Astrogator war noch nicht da. Rohan lief an den großen Bildschirm. Die schwarze Nacht wurde im Osten von unzähligen, weißen Blitzen erhellt. Es sah aus, als griffe ein von einem Radianten ausgehender Meteoritenschwarm die Rakete an. Er blickte auf die Feldkontrolluhren. Die Automaten hatte er selbst

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