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Der Unbesiegbare

Der Unbesiegbare

Titel: Der Unbesiegbare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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schnitt ihm sofort mit einer flüchtigen Handbewegung das Wort ab.
    »Nein, nein … Nun hast du eine Chance. Ich gebe sie dir. Du wirst entscheiden. Ich tue, was du sagst.«
    Er sah ihn an und verbarg gleich darauf seine Augen unter den schweren Lidern.
    »Wie … ich?« stammelte Rohan. Alles hätte er erwartet, nur das nicht.
    »Ganz recht, du. Es bleibt selbstverständlich unter uns. Abgemacht! Du entscheidest, und ich führe deinen Befehl aus. Ich werde es vor der Leitung der Raumstation verantworten. Günstige Bedingungen, nicht wahr?«
    »Meinen Sie das im Ernst?« fragte Rohan, um Zeit zu gewinnen, denn er wußte ohnehin, daß alles Wirklichkeit war.
    »Ja. Wenn ich dich nicht kennte, ließe ich dir Zeit. Aber ich weiß, daß du umherläufst und dir dein Teil denkst, daß du die Entscheidung längst getroffen hast. Ich würde sie nur nicht aus dir herausbekommen. Deshalb wirst du es mir hier sagen, gleich, auf der Stelle. Denn es ist ein Befehl. In diesem Augenblick bist du Kommandant des ›Unbesiegbaren‹ … Du willst nicht auf Anhieb? Gut. Du hast eine Minute Bedenkzeit.«
    Horpach stand auf, ging ans Waschbecken, strich sich mit der Handfläche über die Wangen, daß die grauen Bartstoppeln unter seinen Fingern raschelten, und begann, sich mir nichts, dir nichts mit dem elektrischen Apparat zu rasieren. Er schaute in den Spiegel.
    Rohan sah ihn und sah ihn auch wieder nicht. Seine erste Empfindung war Wut auf Horpach, der so rücksichtlos mit ihm umsprang, indem er ihm das Recht gab, ja eigentlich die Pflicht auferlegte, zu entscheiden, und ihm gleichzeitig die Zunge band und ihm von vornherein die ganze Verantwortung abnahm. Er kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß alles gründlich durchdacht und nicht mehr zu ändern war. Die Sekunden verrannen, und er mußte sprechen, jetzt, sofort, aber er vermochte keinen Gedanken zu fassen. Alle Argumente, die er dem Astrogator so gern ins Gesicht geschleudert hätte, die er sich in nächtlichen Grübeleien wie eiserne Ziegel zurechtgelegt hatte, waren wie weggeblasen. Die vier Männer lebten nicht mehr – das war beinahe sicher. Wenn nicht dieses »beinahe« wäre, brauchten sie nichts zu bedenken, hin und her zu wenden, sie würden einfach im Morgengrauen abfliegen. Aber jetzt nahm dieses »beinahe« in ihm immer größere Ausmaße an. Solange er mit Horpach auf gleicher Stufe gestanden hatte, war er der Ansicht gewesen, sie sollten unverzüglich starten. Jetzt spürte er, daß er den Befehl nicht über die Lippen bringen würde. Er wußte, daß die Angelegenheit Regis iii damit nicht abgetan wäre, sondern erst richtig anfangen würde. Das hatte nichts mit Verantwortung vor der Leitung der Raumstation zu tun. Diese vier Männer würden auf dem Schiff umhergeistern, niemals mehr würde es so sein wie vorher. Die Besatzung wollte zurück. Aber da fiel ihm seine nächtliche Wanderung ein, und er begriff, daß sie nach einer gewissen Zeit daran denken und dann darüber sprechen würden. Sie würden sagen: »Seht ihr? Er hat vier Leute dort gelassen und ist gestartet.« Alles andere würde nicht zählen. Jeder einzelne mußte wissen, daß die anderen ihn unter keinen Umständen im Stich lassen würden. Alles durfte man verlieren, aber die Besatzung mußte man vollzählig an Bord haben – die Lebenden und die Toten. Dieser Grundsatzstand nicht in der Dienstordnung. Aber anders könnte niemand den Weltraum befliegen.
    »Ich höre«, sagte Horpach, legte den Rasierapparat beiseite und setze sich ihm gegenüber.
    Rohan befeuchtete sich die Lippen.
    »Man müßte versuchen …«
    »Was?«
    »Sie zu finden.«
    Nun war es heraus. Er wußte, daß ihm der Astrogator nicht widersprechen würde. Er war jetzt eigentlich felsenfest überzeugt, daß Horpach gerade damit gerechnet, daß er es bewußt arrangiert hatte. Um nicht allein das Risiko tragen zu müssen.
    »Die vier. Ich verstehe. Gut.«
    »Aber wir brauchen einen Plan. Etwas Vernünftiges.«
    »Vernünftig waren wir die ganze Zeit«, erwiderte Horpach. »Den Erfolg kennst du ja.«
    »Darf ich etwas sagen?«
    »Bitte.«
    »Ich war heute nacht auf der Beratung der Strategen. Das heißt, ich habe gehört … Nein, lassen wir das, es ist unwichtig. Sie arbeiten mehrere Varianten für die Annihilation der Wolke aus, aber wir haben doch nicht die Aufgabe, sie zu vernichten, sondern die vier zu suchen. Wenn wir also ein Antiprotonenmassaker veranstalten, so übersteht keiner eine zweite solche Hölle, falls überhaupt noch

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