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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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1
WARTEN
    E r war immer noch nicht zurück.
    Ich bleibe nicht lange. Fuchs wischte sich den Regen vom Gesicht. Das konnte bei Jacob vieles bedeuten. Manchmal blieb er Wochen. Manchmal Monate.
    Die Ruine lag verlassen da wie immer und die Stille zwischen den verbrannten Mauern ließ sie ebenso frösteln wie der Regen. Die Menschenhaut wärmte so viel schlechter, aber Fuchs verwandelte sich dennoch immer seltener in die Füchsin. Sie spürte inzwischen allzu deutlich, wie das Fell ihr die Jahre stahl – auch ohne dass Jacob sie daran erinnerte.
    Er hatte sie zum Abschied so fest an sich gedrückt, als wollte er ihre Wärme mit hinübernehmen in die Welt, in der er geboren worden war. Etwas machte ihm Angst, aber natürlich gab er es nicht zu. Er war immer noch wie ein Junge, der glaubte, seinem eigenen Schatten davonlaufen zu können.
    Sie waren hoch oben im Norden gewesen, in Sveriga und Norga, wo die Wälder selbst jetzt noch tief verschneit waren und die Wölfe vor Hunger in die Städte kamen. Davor waren sie so weit nach Süden gereist, dass die Füchsin immer noch Wüstensand in ihrem Fell fand. Tausende von Meilen … Länder und Städte, von denen sie nie zuvor gehört hatte, alles, um angeblich nach einem Stundenglas zu suchen. Doch Fuchs kannte Jacob zu gut, um das zu glauben.
    Zu ihren Füßen sprießten die ersten wilden Primeln zwischen den zersprungenen Steinen. Der Tau, der von den Blüten perlte, als sie einen der zarten Stängel brach, war immer noch kalt. Es war ein langer Winter gewesen und Fuchs spürte die verstrichenen Monate wie Frost auf der Haut. Es war so viel seit dem letzten Sommer geschehen. All die Angst um Jacobs Bruder … und um ihn selbst. Zu viel Angst. Zu viel Liebe. Zu viel von allem.
    Sie steckte sich die blassgelbe Blüte an die Jacke. Hände … sie entschädigten für die frierende Haut, die der Menschenkörper mit sich brachte. Fuchs vermisste es, die Welt mit den Fingern zu lesen, wenn sie das Fell trug.
    Ich bleibe nicht lange.
    Mit raschem Griff packte sie einen Däumling, der ihr die winzige Hand in die Jackentasche schob. Er ließ den Goldtaler erst los, als sie ihn so heftig schüttelte, wie die Füchsin es mit gefangenen Mäusen tat. Der kleine Dieb biss nach ihren Fingern, bevor er schimpfend davonhuschte. Jacob steckte ihr immer ein paar Goldtaler in die Tasche, bevor er fortging. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass sie inzwischen auch in der Menschenwelt gut ohne ihn zurechtkam.
    Wovor hatte er Angst?
    Fuchs hatte es ihn gefragt, nachdem sie tagelang von einem ärmlichen Dorf zum nächsten geritten waren, nur um schließlich unter dem verdorrten Granatapfelbaum eines toten Sultans zu stehen. Sie hatte ein weiteres Mal gefragt, als Jacob sich drei Nächte lang betrunken hatte, nachdem sie in einem verwilderten Garten nur einen ausgetrockneten Brunnen vorgefunden hatten. »Es ist nichts. Mach dir keine Sorgen.« Ein Kuss auf die Wange, das sorglose Lächeln, das sie schon mit zwölf durchschaut hatte. »Es ist nichts …«
    Sie wusste, dass er seinen Bruder vermisste, aber da war noch etwas anderes. Fuchs blickte an dem Turm der Ruine hinauf. Die verrußten Steine schienen einen Namen zu flüstern. Clara. War es das?
    Ihr Herz zog sich immer noch zusammen, wenn sie an den Bach dachte, in dem die toten Lerchen getrieben hatten. Jacobs Hand in Claras Haar, sein Mund auf ihrem Mund. So hungrig.
    Vielleicht wäre sie deshalb fast mit ihm gegangen. Sie war Jacob sogar hinauf in den Turm gefolgt, aber vor dem Spiegel hatte sie der Mut verlassen. Sein Glas kam ihr vor wie dunkles Eis, in dem ihr das Herz erstarren würde.
    Fuchs wandte dem Turm den Rücken zu.
    Jacob würde zurückkommen.
    Er kam immer zurück.

2
DIE FALSCHE WELT
    D er Auktionssaal lag im dreißigsten Stock. Holzgetäfelte Wände, ein Dutzend Stuhlreihen und an der Tür ein Mann, der die Namen mit fahrigem Lächeln auf der Anmeldungsliste abhakte. Jacob nahm den Katalog entgegen, den er ihm reichte, und trat an eines der Fenster. Ein Wald von Türmen und hinter ihnen die Großen Seen, wie Spiegel aus Silber. Er war erst am Morgen aus New York nach Chicago gekommen, eine Strecke, für die er in einer Kutsche Wochen gebraucht hätte. Unter ihm fing sich das Sonnenlicht in Wänden aus Glas und vergoldeten Dächern. Diese Welt konnte es leicht an Schönheit mit der hinter dem Spiegel aufnehmen, aber Jacob hatte Heimweh.
    Er ließ sich in einen der Stühle nieder und musterte die Gesichter, die ihn

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