Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
Vom Netzwerk:
verlassen? Viele der planetaren Bruchstücke beherbergten verlassene oder inzwischen .mit Roboterbesatzungen ausgestattete Hilfs- und Leitstellen. Nur fanatische Enthusiasten, die sich meist der Erforschung des ehemaligen fünften Planeten widmeten, unternahmen noch das Wagnis, in den Asteroidengürtel einzudringen. Viele der Forschungen hatte man Automaten übertragen.
    Grom betrat die Schleuse. Er war vorbereitet, trotzdem gelang es ihm nicht, sein Gewicht abzufangen. Unter dem Einfluß des irdischen Schwerefeldes der Station gaben die Beine nach, die Schultern fielen wie unter einer Last nach vorn. Als er den Helm öffnen konnte, hatte er sich jedoch bereits daran gewöhnt. Die Sprechanlage funktionierte, doch nach wie vor erhielt er keine Antwort.
    Der Gang in die inneren Sektionen war lange nicht benutzt. Eine dichte, ununterbrochene Staubschicht bedeckte den Boden. Die meisten Räume waren leer. In einem entdeckte Grom ein umfangreiches Lebensmittellager. Er wagte zu rufen, doch der aufdringliche Klang seiner Stimme hallte durch die Gänge, und er unterließ es fortan.
    Ein kleiner Raum von etwa zwanzig Quadratmetern war offensichtlich bewohnt. Das Bett war nicht versenkt, ansonsten herrschte leidliche Ordnung. Er entdeckte eine abgelaufene Uhr und etliche Bücher. Grom las die Titel. Die Verfasser waren ihm unbekannt. Er schüttelte verständnislos den Kopf. Die Seiten waren noch aus richtigem Papier. Grom nahm einen der alten Bände in die Hand. Er mußte über die Illustrationen lächeln, über ihre Naivität. Das Deckblatt war herausgerissen, der Einband verblichen. Wahrscheinlich war es einst durch viele Hände gegangen. Er konnte nur den Rest eines Namens entziffern, Antoi…, der Rest war unleserlich.
    Nahm Savatsky sich die Zeit, Bücher zu lesen? Vielleicht hielt er nichts vom Sleepidee-Inhalator. Ein Sonderling, seine Zeit so totzuschlagen.
    In den Fächern des Wandschranks befanden sich in ungeordnetem Nebeneinander Werkzeuge und persönliche Utensilien. Als er die zweite Hälfte der Schranktür aufzog, entdeckte er einen Schutzanzug mit den Initialen H. S. und den Kapitänsstreifen am Helm: Commander Henry Savatsky. Er war also hier in der Station.
    Hinter einem ehemaligen Labor stieß Grom auf einen Nebengang, der nach wenigen Metern an einer unauffälligen Tür endete. Sie war nicht verriegelt. Er öffnete sie und befand sich in einem großen, langgestreckten Raum, angefüllt von einem unübersehbaren Gewirr technischer Apparaturen und Meßanordnungen. Es roch nach Ozon. Irgend etwas erzeugte einen tiefen Summton. Sekundenlang ertönte ein hastiges Tikken. Grom kletterte über Geräte, deren Zweck er nicht ahnte. Vorsichtig tastete er sich zur gegenüberliegenden Wand durch.
    In einem massiven Kasten mit gläserner Front saß ein Mann im Raumanzug. Er hatte die Augen geschlossen, als schliefe er. Seine Hände ruhten auf Armstützen. Der Kopf war leicht nach vorn geneigt. Ein fahl-kaltes Leuchten umspielte ihn, ließ die Kabine dimensionslos erscheinen und verlieh dem Gesicht hinter dem Glas eine eigentümliche Starrheit, einen Hauch der Entrückung.
    Das also war der Mann, den die Welt gefeiert hatte, dessen Name verbunden war mit der heroischen Rettungstat; Opfermut einer modernen Persönlichkeit! Die Formulierungen der Journalisten hatten sich Grom eingeprägt. Savatskys asketisches Gesicht übertraf den Eindruck aller Bild- und Filmdarstellungen. Nie hatte Grom so stark diese innere Geschlossenheit empfunden, die Kraft und Tiefe der Meditation. Heftiger als bisher drängte sich ihm die Überzeugung auf, daß jegliche Dynamik der Absicht abträglich sein würde. Es blieb nur eine Möglichkeit: zurückzugreifen auf die Strenge der Klassik.
    Sollte er es wagen? Würden seine Anhänger den Schock bewältigen? Könnte man ihm nicht nachsagen, seine Phantasie hätte sich erschöpft, er wäre nicht mehr fähig, ein künstlerischkybernetisches Programm zu entwerfen, und zöge deshalb der schöpferischen Veränderung die Stupidität des Leblosen vor?
    Einen Moment zweifelte Grom. Doch dann überzeugte ihn die Kühnheit eines derartigen Sprungs. Gerade die konsequente Negierung des Hyperdynamischen würde seinen Ruf als mutigen Avantgardisten festigen. Mit dieser Arbeit würde er einem neoklassischen Kubismus bahnbrechen, der mit seiner statischen Gewalt alles Gewesene in den Schatten des Vergessens schleudern mußte.
    Groms Blick verschleierte sich. Er sah Savatskys Gestalt zu monumentaler Größe

Weitere Kostenlose Bücher