Der unsichtbare Zweite
Malvolio, ob ich sie kenne? Na und ob, Vorjahren waren wir ja in derselben Partei, auch wenn sie nach dem fünften (oder vielleicht dem sechsten) Kongress auf eine andere Linie gegangen ist. »Ich sag dir, auf was für eine Linie die geht!« brüllte damals Migliarini, der manchmal zu etwas derben Anspielungen neigt. »Auf den Strich geht sie, Slucca, hier!« Und er stampfte mit dem Fuß auf das Trottoir der Via del Corso.
Mir fällt ein, dass es mit einem Geländewagen wie diesem doch ganz leicht wäre, zurückzufahren und seinen Lieferwagen abzuschleppen, aber er sagt, nein, er sei da unten gegen einen Olivenbaum geprallt, habe sich dabei auch ganz schön die Schulter gestoßen, und die Vorderräder seien blockiert, da müsse ein Kranwagen her. Aber der Abschleppdienst des Automobilklubs? Nein, da sei er nicht mehr Mitglied.
Wir kommen durch mehrere Ortschaften, von denen aus er telefonieren könnte, aber er sagt, falls es mir recht sei, wolle er lieber bis nach Macerata mitfahren, wo er einen Verwandten mit einer Autowerkstatt habe, der ihn umsonst abschleppen werde. Andernfalls müsse er es selbst bezahlen, der Kleintransporter gehöre der Firma. Aber wenn er der Firma gehöre, dann hätte doch die Firma daran denken müssen, in den Automobilklub einzutreten, nicht wahr? Rossi antwortet ausweichend, und ich ahne, dass etwas anderes dahintersteckt, der Verwandte in Macerata wird ihm einen Rabatt auf die Reparaturkosten geben oder etwas aufschlagen, um die Firma zu betrügen, irgend so ein Gemauschel eben. Die Firma, erklärt er mir, handelt mit Wasserhähnen, er reist mit einem Auto voller Wasserhähne. Und wie gehen die Geschäfte? Na ja, nicht so besonders, er und zwei Mitarbeiter bereisen das Territorium, aber das Leben ist schwer, an manchen Tagen läuft alles schief, und sie kriegen nicht einmal die Spesen herein.
Wir nähern uns den Steuern, und ich wechsle das Thema, frage ihn, wie er meine Kollegin Minima Malvolio kennengelernt habe. Durch Zufall, sagt er, auf der Bank. Sie war in den Ferien in Finale Ligure, er auf der Durchreise, und da war dieser missglückte Banküberfall, der Bankräuber hatte sich mit sechs Geiseln eingeschlossen und drohte mit einem Massaker. Und sie, die damals im zweiten Beratungsausschuss der Antigewaltkommission war, erbot sich, die Verhandlungen zu übernehmen. Eine mutige Frau, ein starker Charakter. Zunächst auf dem Platz vor der Bank, mit dem Megaphon, vor der halben Bevölkerung. Dann, als die Dinge sich in die Länge zogen, ging sie allein und unbewaffnet in die Bank hinein und brachte den Typen schließlich dazu, die Geiseln freizulassen und sich zu ergeben. Und auch eine Frau von Wort; soweit er wisse, habe sie alle Versprechen eingehalten, die sie dem Bankräuber gegeben habe, Strafminderung, einen Trainerposten in der Volleyballmannschaft der Strafanstalt, wöchentlich eine Ration Badeöl, als Zellengenossen einen sanftmütigen, melancholischen Strafgefangenen, der wegen einer Namensverwechslung eingebuchtet und seit drei Jahren dort vergessen worden war.
Während er unbefangen seinen Dialog führt, massiert sich der Wasserhahnvertreter immer wieder die linke Schulter. Wir könnten an einem Krankenhaus halten, schlage ich vor. Nein, nein, wer traue denen schon? Dann vielleicht an einer Apotheke. Nein, das sei doch nicht nötig wegen einer einfachen Prellung. Dafür wüsste er aber zu gern, was aus Minima Malvolio dann geworden sei, was sie jetzt mache. Sie ist in einer Projektgruppe des Ministeriums für Chancengleichheit, informiere ich ihn, erst kürzlich hat sie einen Gesetzesentwurf vorgelegt, zur Einführung einer Zwangsquote von Frauen bei den Parksündern, die immer noch fast alle männlich sind. Eine inakzeptable Diskriminierung in einem zivilen Land. Das wird sie durchsetzen, sagt der Neapolitaner, das schafft die, ich habe sie da auf dem Platz vor der Bank in Finale in Aktion gesehen, die wird alle überzeugen. Das ist eine Frau mit Ausstrahlung. Ich sage ihrem Bewunderer lieber nicht, mit was für Ausstrahlungen Onorevole Migliarini Onorevole Minima Malvolio assoziiert, die harmloseste darunter wäre noch ein Tropf mit dem Ebola-Virus.
In diesem Dialog begriffen, kurven wir ruhig drei Kilometer Hügel hinauf und hinunter, bis wir uns plötzlich einem quer über die Straße gestellten Polizeijeep gegenübersehen, dazu vier Karabinieri mit Maschinengewehren im Anschlag. Und ich habe noch kaum bremsen und anhalten können, als eine Frau, gekleidet wie
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