Der Untergang
der Agonie, mit der das Hitlerreich erlosch, eine steuernde Kraft am Werk. Sie setzte alles daran, daß seine Herrschaft nicht nur endete, sondern das Land im ganzen buchstäblich unterging. Schon bei seinem Machtantritt und dann immer wieder hatte Hitler erklärt, daß er niemals kapitulieren werde, und zu Beginn des Jahres 1945 seinem Luftwaffenadjutanten Nicolaus von Below versichert: »Wir können untergehen. Aber wir werden eine Welt mitnehmen.«
Hitler wußte seit langem, daß der Krieg verloren war. Die ersten Äußerungen darüber fallen bereits im November 1941. Aber eine hinreichend ruinierende Kraft besaß er noch immer. Auf dem Grund aller Durchhalteappelle und Verteidigungsaufrufe der letzten Monate ist eine Art Jubelton unüberhörbar, wie er in Robert Leys Ausbruch anläßlich der Zerstörung Dresdens durchschlägt: »Wir atmen fast auf! Nun ist es vorbei! Wir werden jetzt durch die … Denkmäler deutscher Kultur nicht mehr abgelenkt!« Und Goebbels sprach von den »zerschmetterten Gefängnismauern«, die nun »in Klump geschlagen« seien. Hitler selber hatte schon im Herbst 1944 und dann noch einmal durch den sogenannten »Nerobefehl« vom 19. März 1945 angeordnet, sämtliche Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung des Lebens zu demolieren: die Industriewerke und die Versorgungsanlagen, die Straßen, Brücken und Kanalisationssysteme, so daß dem Gegner nichts als eine »Zivilisationswüste« in die Hände fiel.
Die Monate des endenden Kriegs verbrachte Hitler in dem Bunker, den er Anfang der vierziger Jahre hatte anlegen lassen. Von hier, fast zehn Meter unter der Erde, kommandierte er Armeen, die längst zerschlagen waren, und eröffnete Entscheidungsschlachten, die niemals stattfinden würden. Von Claus Schenk von Stauffenberg, dem Attentäter des 20. Juli 1944, ist die aus dem Anblick der betonierten Führerhauptquartiere gewonnene Beobachtung überliefert: »Hitler im Bunker - das ist der wahre Hitler!« Tatsächlich verrät die Verbindung von Kälte, weltfernem Vernichtungswillen und opernhaftem Pathos, die Hitlers Entscheidungen der letzten Zeit bestimmen, viel von seinen auffälligsten Wesenszügen, und genauer als aus dem Verhalten dieser Wochen, in denen er sich mehr denn je von der Welt wegsperrte, kann man dem, was ihn sein Leben lang trieb, kaum auf den Grund kommen. Alles ist noch einmal verdichtet und gesteigert zusammen: sein Haß auf die Welt, die Erstarrung in früh gewonnenen Denkmustern, die Neigung zum Unausdenkbaren, die ihm so lange von Erfolg zu Erfolg verholfen hatte, ehe jetzt alles endete. Aber eines der großen Spektakel, auf die er zeitlebens aus gewesen war, ließ sich noch immer und nun womöglich großartiger denn je veranstalten.
Zu Bild und Verständnis des Geschehens gehört die unbestrittene Autorität, die Hitler trotz der von allen Beobachtern übereinstimmend beschriebenen Hinfälligkeit der Person nach wie vor ausübte. Mitunter scheint es sogar, als habe die Greisenhaftigkeit der Erscheinung und die sichtbare Anstrengung, mit der er sich durch die Räume schleppte, die Suggestivität seiner Auftritte noch verstärkt. Kaum einer jedenfalls wagte ihm zu widersprechen. Bewährte Generäle und hochdekorierte Offiziere standen während der täglichen Lagekonferenzen stumm und mit bemüht ausdrucksleeren Mienen um ihn herum. Unbewegt führten sie die ergangenen Weisungen aus, deren Irrwitz oder Sinnlosigkeit ihnen nicht verborgen geblieben war.
Für alle diese und manche weiteren Bewandtnisse liefert die folgende Darstellung zahlreiche, nicht selten bestürzende Beispiele. Sie haben den Ereignissen eine einzigartige Dramatik verschafft. Um so erstaunlicher ist das »ungewisse Licht«, das zumal über den Vorgängen im Führerbunker liegt. Die Wendung stammt von dem britischen Historiker Hugh R. Trevor-Roper, dem Verfasser der ersten verläßlichen Darstellung von »Hitlers letzten Tagen«, wie der Titel seiner bereits 1946 erschienenen Bestandsaufnahme lautet. Bis heute ist dieses Licht kaum schärfer geworden. Allein zu der Frage, wie Hitler sich umgebracht hat, liegen mindestens vier widersprüchliche Zeugenaussagen aus engster Umgebung vor. Ähnliches gilt für den Verbleib der Leiche des Diktators und der seiner ihm in der Nacht zuvor angetrauten Ehefrau, desgleichen für den von sowjetrussischer Seite behaupteten »Sturm« auf die Reichskanzlei und anderes mehr.
Die Unsicherheit in den Befunden geht zum Teil darauf zurück, daß die
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