Der Untergang
zitternden Hand, lief Hitler von einem zum anderen und hielt ihm in leicht entrückter Greisenemphase die Meldungen hin: »Hier! Sie wollten es nie glauben! Wer hat nun recht?« Er verwies auf das Mirakel des Hauses Brandenburg, das den großen Friedrich
1762 rettete: Das Wunder, sagte er, kehre noch einmal wieder! »Der Krieg ist nicht verloren! Lesen Sie! Roosevelt ist tot!«
Wie so oft in seinem Leben schien auch diesmal wieder die Vorsehung ein Einsehen zu haben und sich in buchstäblich letzter Sekunde auf seine Seite zu stellen. Seit Jahr und Tag hatte er seine Umgebung davon zu überzeugen versucht, daß das »widerwärtige Konkubinat« der Feindmächte in naher Zukunft zerbrechen und England wie die Vereinigten Staaten ihn, bevor es zum Äußersten komme, doch noch als Vorkämpfer der gemeinsamen Kultur gegen die Barbaren des Ostens anerkennen würden. Der Tod Roosevelts, versicherte er nun, sei das ersehnte Signal zur Umkehrung der Allianzen, der Krieg im Westen so gut wie beendet, und für ein paar Stunden herrschte im Bunker eine Hochstimmung, in der sich die Empfindung des Davongekommenseins mit Zuversicht und bald schon wieder Siegeserwartung mischte. Aber im Laufe der Nacht, als alle Gaukelspiele durchgerechnet waren, brachen die ausgeblendeten Bedrückungen aufs neue durch, zumal die Meldung eingegangen war, daß die Rote Armee Wien erobert habe. Am Ende saß Hitler, dem Bericht eines Beteiligten zufolge, »erschöpft, wie befreit und zugleich benommen in seinem Sessel; dennoch wirkte er hoffnungslos.« In der Tat hatte der Tod des Präsidenten keinen Einfluß auf den Fortgang des Krieges.
Im Januar, nach der gescheiterten Ardennenoffensive, war Hitler nach Berlin zurückgekehrt und hatte anfangs in der Neuen Reichskanzlei Quartier bezogen. Bald jedoch hatten die ständigen Luftangriffe ihn von dort vertrieben und veranlaßt, in den Tiefbunker umzuziehen, wo er, dem Urteil mehrerer Beobachter zufolge, endlich bei sich selber war. Die Angstkomplexe, die ihn zeitlebens beherrscht hatten, waren bereits zum Vorschein gekommen, als er 1933, wenige Monate nach seiner Ernennung zum Kanzler, eine Reihe von Umbauarbeiten an der Reichskanzlei in Auftrag gegeben und als eines der unerläßlichen Vorhaben eine bunkerartige Unterkellerung des Gebäudes verlangt hatte. Wie obsessiv dieses Verlangen war, geht auch daraus hervor, daß er in den Architekturgesprächen mit Albert Speer »Bunker, immer wieder Bunker« entwarf. Schon der Festsaal, den er 1935 von dem Architekten Leonhard Gall im Garten hinter dem Kanzleramt errichten ließ, erhielt einen Luftschutzkeller mit einer Deckenstärke von annähernd zweieinhalb Metern, die später um einen weiteren Meter verstärkt wurde. Drei Jahre darauf dann, mit dem Bau von Albert Speers Neuer Reichskanzlei, kamen noch einmal ausgedehnte Schutzräume hinzu. In den Tiefgeschossen des Gebäudes lagen auf der gesamten Länge der Voßstraße mehr als neunzig Betonzellen. Sie waren mit dem Bunker unter dem Festsaal durch einen etwa achtzig Meter langen unterirdischen Gang verbunden.
Als jedoch die Winterkatastrophe vor Moskau, Ende 1941 , Hitlers Verschrecktheiten neuerlich aufrührte, sah er selbst dieses weitläufige Bunkersystem als unzureichend an. Obwohl seine Armeen zu dieser Zeit den Riesenraum zwischen Stalingrad und Hammerfest bis hin nach Tripolis besetzt hielten, beauftragte er 1942. das Büro Speer mit der Planung für einen weiteren Katakombenbau, der nochmals einige Meter tiefer lag. Er schloß an den Schutzraum unter dem Festsaal an, der seither als »Vorbunker« bezeichnet wurde und eine Kantine für die engeren Mitarbeiter Hitlers enthielt, einige Aufenthalts- und Schlafräume, ferner die Küche sowie Dienstbotenzimmer, sechzehn Räume insgesamt.
Lageplan des weitläufigen Bunkersystems auf dem Gelände der
Reichskanzlei.
Im Garten hinter der Reichskanzlei mit seinem alten
Baumbestand und den stillen Parkwegen, von dem aus nur wenige Generationen zuvor Bettina von Arnim an Goethe geschrieben hatte, sie wohne »hier in einem Paradies«, fielen jetzt noch einmal die Arbeitskolonnen ein, fällten die Bäume, schafften Baumaterialien, Zementmischmaschinen, Armierungen sowie Stapel von Schalbrettern heran und machten sich ans Werk. Anfang 1945 war der Betonklotz des Führerbunkers weitgehend fertiggestellt, doch gingen die Arbeiten vor allem an Unterständen und Wachtürmen noch geraume Zeit weiter und waren selbst im April 1945 nicht
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