Der Untergang
kritischen Untersuchungen, einschließlich derjenigen Trevor-Ropers, erst Monate nach den Ereignissen einsetzten, als viele wichtige Zeugen entweder in den Kriegswirren verschwunden oder in sowjetische Gefangenschaft geraten und mithin unerreichbar waren. Nicht nur zahlreiche SSRänge, die zur Besatzung der Reichskanzlei gehörten, auch Wehrmachtsoffiziere aus dem Kampfgebiet Berlins sowie Bunkerpersonal und selbst noch die Zahnärzte Hitlers kehrten erst 1955, im Anschluß an Adenauers Moskau-Reise, nach
Deutschland zurück.
Damit stand unversehens eine Anzahl erster Auskunftgeber über eines der unstreitig erregendsten und folgenreichsten Ereignisse der deutschen Geschichte zur Verfügung. Doch die Gelegenheit ihrer Befragung wurde vertan. Weder das Geschehen selbst noch die auf die eine oder andere Weise unmittelbar Beteiligten vermochten ein stärkeres Interesse zu wecken. Das hatte mancherlei Gründe.
Dazu zählte gewiß, daß der Untergang des Reiches zwar als nationale Katastrophe empfunden wurde. Doch die Nation gab es nicht mehr, und der Begriff der Katastrophe fiel mit wachsendem zeitlichem Abstand einer der deutschen Spitzfindigkeitsdebatten zum Opfer. Vielen klang er zu sehr nach »Schicksal« und Schuldverleugnung, als sei, was geschehen war, aus einer gleichsam unvermittelt auftauchenden historischen Gewitterwolke niedergefahren. Zudem umfaßte er die Idee der Befreiung nicht, die bei jedem Blick auf das Jahr
1945 inzwischen mitgedacht werden sollte.
Das war ein erster Motivstrang für die sonderbare Gleichgültigkeit bei der Erforschung und Quellensicherung dieser Ereignisse. Einzig etliche historisch bewanderte Reporter meist angelsächsischer Herkunft haben sich seit den sechziger Jahren dem Thema zugewandt und die Dabeigewesenen befragt. Eine Rolle spielte auch, daß die Geschichtswissenschaft gerade zu jener Zeit die Bedeutung der Strukturen im historischen Prozeß zu entdecken und, vereinfacht gesprochen, die gesellschaftlichen Verhältnisse für weitaus gewichtiger zu halten begann als die Ereignisse. Das elementare Vergegenwärtigungsbedürfnis, das am Anfang aller historischen Betrachtung steht, wurde seither als »unwissenschaftlich« verpönt; die erzählerische Technik auch. Zugleich damit sah sich jeder geschichtliche Stoff von einigem dramatischen Zuschnitt unter Verruf gestellt, als laufe dessen Darstellung zwangsläufig auf eine Art »yellow history« hinaus. Überhaupt scheut das vom Kleinteiligen angezogene Temperament der herrschenden Historikergeneration die größeren, noch dazu spannungsgeladenen Abläufe. Aber mitunter tut der Chronist gut daran, das Vergrößerungsglas aus der Hand zu legen. Denn auch der Zusammenhang, in dem alles jederzeit mit allem steht, hat seine Bedeutung und leistet Erkenntnisgewinne, die keine Detailbetrachtung erbringen kann.
Mit dieser Absicht ist die vorliegende Darstellung geschrieben. Den Anstoß gab der Beitrag, den ich vor etwa anderthalb Jahren für das von Etienne François und Hagen Schulze herausgegebene Sammelwerk »Deutsche Erinnerungsorte« über den »Führerbunker« verfaßt hatte. Der notgedrungen kurze, zugleich die Geschichte des Reichskanzlerpalais an der Wilhelmstraße beschreibende Essay schilderte lediglich den letzten Tag im Leben Hitlers sowie in wenigen eher offenen Strichen das darauffolgende Geschehen.
Nach dem Erscheinen des Bandes gingen mehrere Anfragen ein, die wissen wollten, anhand welcher Veröffentlichungen ein halbwegs umfassendes Bild vom Zusammenbruch des Reiches zu gewinnen sei. Erst dabei ging mir auf, daß außer einigen wenigen, in mancher Einzelheit inzwischen überholten Darstellungen kaum ein Werk zugänglich ist, das dem ungeheuerlichen Geschehen jener Wochen auf dem neuesten Kenntnisstand gerecht würde. Das gleiche gilt für die Nachgeschichte, als der Vorhang schon gefallen war und das blutige Stück, den Launen der Geschichte folgend, auf der Vorderbühne noch ein paar Auftritte lang weitergespielt wurde.
Die Autoren, die am Ende dieses Buches mit ihren Arbeiten aufgeführt und teilweise kurz gewürdigt sind, haben die Einsicht in den Ereignisverlauf oftmals beträchtlich erweitert. Doch ein Gesamtbild, das sowohl den Gang der Dinge als auch wichtige Aspekte des dazugehörigen Hintergrunds vermerkt, steht offenbar aus. Auch die vorliegende Beschreibung will und kann nicht mehr als einen Anstoß geben. Sie nennt sich eine »historische Skizze«. In vier erzählenden
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