Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
Vorwort
A ls meine Frau Hannah erfuhr, dass sie Lungenkrebs hatte, waren wir erschüttert, aber innerlich gefasst. Wir wussten, was uns und vor allem sie erwartete. Ihr Geist blieb weit, trotz unserer starken Liebe zueinander. Sie nutzte die letzten Monate ihres Lebens, so gut es ging, um ihre Arbeit abzuschließen, und verabschiedete sich dann einen Tag bevor sie ihre Sprache verlor bewusst von allen Freunden. Sie starb würdevoll mit einem Lächeln auf den Lippen.
Seit uns 1968 in Nepal Buddhas Lehre begeisterte, waren wir durch unsere tüchtigen Lehrer auf das Helfen anderer und den eigenen Tod vorbereitet worden. Meine Frau brauchte keine weiteren Belehrungen und wandte die entsprechenden Meditationen voller Vertrauen an. Ihre Umgebung konnte sich bestens auf ihre Bedürfnisse einstellen, denn auch sie wusste, was nun wichtig war, und so wurde sie liebevoll beim Sterben begleitet und unterstützt.
Auch die Trauerzeit um Hannah sah anders aus als üblich. Ich arbeitete nach einer kurzen Zurückziehung weiter, denn ich wusste, dass es ihr in dem jetzigen Zustand viel besser ging als in ihrem kranken Körper, und weil ich sicher war, dass wir in zukünftigen Leben freudvoll unser Wirken gemeinsam fortsetzen würden.
Dem Wunsch unserer Lamas und ihrer Übertragung entsprechend geschult, wurde ich über die Jahre zum Lehrer für diesen entscheidenden Augenblick im Leben. Mit steigender Freude kann ich immer wieder beobachten, welch heilsame Wirkung Buddhas Belehrungen auf verunsicherte Menschen haben, die nicht wissen, was sie am Lebensende erwartet.
Allen Schülern, die die Belehrungen zum zeitlosen Geist, zum Sterben, zum Tod sowie zur Wiedergeburt und vor allem die Übung des Bewussten Sterbens (Phowa) kennen, ist eine Sache gemein: Sie schauen unerschrocken in die Zukunft, denken an andere und sind Kraftspender für ihr Umfeld. Sie sind das stille Zentrum des Sturms, der angesichts eines bevorstehenden Todes meist über die Familie hereinbricht.
Mag dieses Buch vielen die Angst vor dem Sterben nehmen und ihnen helfen, schon jetzt die Samen für großes künftiges Glück zu legen!
Mit Blick über den See und die Berge im Europa-Zentrum im Juli 2010, im Segensfeld der Schützerin Weißer Schirm, am Tag von Schwarzer Mantel.
Euer Lama Ole
Der Kreislauf des Lebens
A lles fängt mit dem Zusammenschluss der größten und der kleinsten Zelle des Menschen an: der Eizelle der Frau und dem Spermium des Mannes. Aus dieser Verschmelzung entstehen innerhalb von neun Monaten Billionen von Zellen in 200 verschiedenen Ausprägungen. Nach einem Monat hat sich ein etwa sechs Millimeter großes Wesen gebildet, und vier Wochen später zeigen sich die Arme, Beine, Hände und Füße. Dabei ist die Entwicklung des Embryos nicht nur von Zellwachstum geprägt, sondern auch durch den Verfall von eben erst gebildeten Zellen. Damit die Hände später nicht wie kleine Paddel aussehen, müssen die Zellen der Schwimmhäute zwischen den Fingern sterben, denn erst dadurch werden die einzelnen Finger beweglich. Auch die Augäpfel könnten ohne gezieltes Absterben nicht vollständig ausgebildet werden, denn die Augen entwickeln sich aus einer einfachen Einstülpung der Haut zu einem komplexen Sinnesorgan. Ohne das Auflösen der Zellkerne in der ausgebildeten Linse wäre unser Blick im wahrsten Sinne des Wortes getrübt.
Ebenso entsteht im Gehirn zuerst ein Überschuss an Zellen, im weiteren Verlauf formen sich die Hirnareale durch die Rückbildung einzelner Zellen immer weiter aus. Doch die Erneuerung endet nicht – ganz entgegen der Annahme der Neurologie und Hirnforschung in den 90er Jahren, die das Gehirn bei Erwachsenen für nicht entwicklungsfähig hielten. Heute weiß man, dass es bis ins hohe Alter wandlungsfähig bleibt und selbst der Wegfall einer Hirnhälfte kompensiert werden kann. [1]
Ohne Anfang und Ende
Über die Welt, das Leben, den Tod und das Danach machen sich die Menschen seit Jahrtausenden Gedanken, und es wurden unzählige Annahmen und Ansichten dazu entwickelt. Die Vorstellung, dass es einen Anfang und ein Ende der Welt gäbe, ist dabei weit verbreitet. Sie findet sich bei Wikingern ebenso wie im griechischen Denken oder in den drei großen Glaubensreligionen des Mittleren Ostens, in denen Gottesvölker mit oft schwierigen Göttern sie auf dem Weg zu einem gelobten Land erfahren. Während in Glaubensreligionen ein persönlicher Gott der Verursacher und Endzweck ihrer Welt ist, gehen der
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